Vielen Spitzenpolitikern ist eines gemeinsam: die Sorge vor einem Leben ohne bedeutendes Amt. Aber es gibt ja ein Versorgungssystem.  

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Es muss ja nicht immer so tragikomisch ausgehen wie bei Heide Simonis. Im Februar 2005 hatte sie bei der Landtagswahl die Mehrheit in Schleswig-Holstein verloren. Eine Große Koalition unter CDU-Führung - also den freiwilligen Verzicht auf den Ministerpräsidentenposten - lehnte die Sozialdemokratin ab. Unvergessen ist ihr entsetzter Ausruf auf eine entsprechende Frage des ARD-Talkers Reinhold Beckmann: "Und wo bleibe ich dabei?"

 

Plötzlich dämmerte Simonis, dass sie bei der Regierungsneubildung im Abseits landen könnte. So wagte sie die Abstimmung im Parlament, die für sie verheerend endete. Im Anschluss stolperte Simonis ins bürgerliche Leben und landete in der RTL-Show "Let's dance". Dort wurde sie als "Hoppel-Heide" verspottet und gab nach einem Kreislaufzusammenbruch auf.

Es gibt viele Fälle von Machtversessenheit und Realitätsferne in der Politik. Immer wieder verpassen Volksvertreter, die sich viele Jahre im Lichte der Öffentlichkeit gesonnt haben, den rechten Zeitpunkt zum Absprung - bis sie von sogenannten Parteifreunden dazu gedrängt werden. Doch wohl nie zuvor oder danach klebte jemand so offensichtlich am Repräsentantenstuhl wie Heide Simonis.

Die Angst vor dem Bedeutungsverlust hat nun auch Birgit Homburger und Rainer Brüderle befallen. Anders ist das zähe Festhalten der beiden Liberalen an ihren Ämtern kaum zu erklären. Homburger wich vom Fraktionsvorsitz erst ab, als ihr ein gesichtswahrender Ersatzposten versprochen wurde. Brüderle gab das Wirtschaftsministerium nur ab, weil er mit einer anderen Aufgabe in der ersten Reihe bedacht wurde - gleichgültig, ob das Amt jetzt noch zum Inhaber passt.

Pokerspiel hat Homburger Amt der Parteivize eingebracht

Abschieben lassen wollte sich der 65-Jährige nicht. Brüderle weiß zu gut, dass die Parteien in solchen Situationen gern alle Fantasie entwickeln, um Altgediente auf Posten zu hieven, auf denen sie vornehmlich eines dürfen: schöne Reden halten, sich weiter wichtig fühlen, aber nicht mehr in die Tagespolitik einmischen. Birgit Homburger ist mit 46 Jahren zu jung fürs Abstellgleis. Daher wurde zwischenzeitlich eruiert, sie zur Nachfolgerin von Cornelia Pieper als Kulturstaatsministerin im Auswärtigen Amt zu machen - und die wiederum zur Botschafterin in Warschau, weil sie Polnisch spricht. Das war der Schwäbin Homburger nicht bedeutend genug, weshalb sie weiter pokerte. Mit Erfolg, denn nun soll sie Parteivize werden.

Der Redlichkeit halber sei gesagt, dass nicht nur persönliche Gründe, sondern auch strategische Erwägungen die Personalrochade der FDP beeinflusst haben. So konnte mit Brüderle nicht einfach der ordnungspolitische Flügel entsorgt werden, und eine Abschiebung von Homburger hätte zugleich eine deutliche Schwächung der Südwest-Liberalen mit sich gebracht.

Ein Traum aus ferner Vergangenheit

Zudem wird das dem Bürger so verhasste Postengeschacher in allen Parteien betrieben. Besonders beliebt sind europäische Institutionen, um namhafte Volksvertreter von der Bildfläche zu manövrieren und Platz zu schaffen für neue Kräfte - nach der uralten Devise "Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa". Das gilt vor allem für Günther Oettinger, den Angela Merkel EU-Energiekommissar hat werden lassen, auch wenn der frühere Ministerpräsident in Brüssel nun eine neue Erfüllung gefunden hat.

Der baden-württembergischen CDU mag sein Wechsel schon wie ein Traum aus ferner Vergangenheit erscheinen, als sie noch völlig ungehindert verdiente Kräfte auf lukrativen Stühlen fern von Regierung und Partei platzieren konnte. 2004 etwa erregte Erwin Teufel die Gemüter, als er den vormaligen Landesinnenminister Thomas Schäuble völlig fachfremd an die Spitze der Staatsbrauerei Rothaus expedierte. Die SPD prägte seinerzeit den Begriff vom "teuersten Azubi aller Zeiten". Exsozialminister Friedhelm Repnik wiederum durfte damals Geschäftsführer der Staatlichen Toto-Lotto Baden-Württemberg werden.

Parteien nutzen ihre Stiftungen, um die alte Garde ruhigzustellen

Derlei Fälle quer durch die Republik füllen ganze Archivregale. Gerne nutzen die Parteien auch ihre Stiftungen, um die alte Garde ruhigzustellen. So hat FDP-Chef Guido Westerwelle 2006 Wolfgang Gerhardt auf den Vorsitz der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung weggelobt, um selbst Oppositionsführer zu werden. Allerdings wirken derlei Schachzüge nur bedingt: seit Beginn der FDP-Krise mag sich auch Gerhardt offene Kritik am Nachfolger nicht mehr abkaufen lassen.

Peter Struck ist seit Dezember Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Der frühere Verteidigungsminister wurde freilich nicht entsorgt. Ganz im Gegenteil: Parteichef Sigmar Gabriel hätte lieber einen Modernisierer an der Spitze einer Stiftung gesehen, die in der SPD als "Dinosaurierfriedhof" verspottet wird. Doch fühlte sich der 68-jährige Peter Struck zu jung für das Abstellgleis, wagte den Machtkampf und obsiegte mit dem Rückhalt der arrivierten Genossen.

Der Vorwurf, nicht loslassen zu können, trifft nicht nur, aber vor allem die Politiker - viele von ihnen erscheinen wie Junkies der Macht. Das Politgeschäft mit der nie versiegenden medialen Aufmerksamkeit ist ihre Droge, von der sie kaum loskommen. Selbst schwerste gesundheitliche Rückschläge erlösen sie nicht von dieser Sucht: Ob Wolfgang Gerhardt, Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Horst Seehofer, Peter Struck oder Jürgen Trittin - sie alle mochten nicht aus dem Politikbetrieb ausscheiden. Die Angst vor der großen inneren Leere ist demzufolge größer als die Angst vor dem Tod.

Doch jeder Fall übermäßiger Selbstbezogenheit bestätigt die Vorurteile des Bürgers gegenüber der Politik - ob das nun gerecht ist oder nicht.

Der Freiwillige Abschied von der Macht

Seitenwechsel: Auch das gibt es: Politiker, die sich von der Macht lösen, ohne abgewählt worden zu sein. Sie gehen aus freien Stücken, um sich ein neues Berufsleben jenseits der Politik aufzubauen – oder weil sie des Politikbetriebs überdrüssig sind. Vier aktuelle Beispiele für Abschiede, die sich eher zufällig alle in der CDU abspielen.

Exbundespräsident: Horst Köhler flüchtete am 31. Mai 2010 nach sechs Jahren aus dem Schloss Bellevue und begründete dies mit Kritik an seiner Person.

Wirtschaftsmanager: Roland Koch (53) war elf Jahre Ministerpräsident in Hessen. Von Juli an steht der Vollblutpolitiker dem Baukonzern Bilfinger Berger vor.

Berater: Ole von Beust war neun Jahre Hamburgs Erster Bürgermeister. Sein Rücktritt führte zum Regierungswechsel. Heute ist er Unternehmensberater.

Richter: Nach zwölf Jahren als Ministerpräsident im Saarland will sich Peter Müller bald zurückziehen, um im Herbst Bundesverfassungsrichter zu werden.