Marcel Reif spricht im Interview über die Beschimpfung von TV-Kommentatoren wie Claudia Neumann und Béla Réthy bei der Fußball-WM, was er selbst in dieser Hinsicht erlebt hat – und er verrät, was er seinen Kollegen im Umgang mit Beleidigungen empfiehlt.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Marcel Reif hat in seiner Karriere bei sieben Fußball-Weltmeisterschaften Spiele kommentiert, darunter vier Finals. Von 1994 bis 1999 arbeitete er als Chef-Kommentator bei RTL, von 1999 bis 2016 in gleicher Rolle bei Premiere/Sky. Der 68-Jährige wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis – ihn bringt nichts so leicht aus der Ruhe. „Ein Shitstorm in den sozialen Medien geht mir da vorbei, wo er hingehört – am A. . .“, sagt er.

 
Herr Reif, TV-Kommentatoren zu beschimpfen, scheint in Mode zu sein. Es ufert auch immer weiter aus, wie nehmen Sie das wahr?

Ich will nicht immer alles auf die Sozialen Medien schieben, da bekomme ich Ärger mit meinen Söhnen. Aber seit dem Durchbruch der Sozialen Netzwerke gibt es die Möglichkeit, sich anonym auszukotzen. Das hat Schwellen gesenkt und die Koordinaten verschoben. Wenn man etwas in der Öffentlichkeit macht, das – mit Verlaub – auch noch gut bezahlt ist, muss man mit Kritik leben. Wenn mir jemand etwas ins Gesicht sagt, kann ich mich wehren. Gegen die Anfeindungen im Internet kann man dagegen nichts tun, außer sie nicht an sich heranzulassen. Das ist eine Parallelwelt.

Claudia Neumann und Béla Réthy vom ZDF stehen bei dieser Fußball-WM im Zentrum der Kritik. Haben Sie selbst auch negative Erfahrungen gemacht?

Ja, logisch. Das Ganze hat eine Pseudowucht. 30 negative Posts sind ein Shitstorm. Geben Sie mir zwei Minuten und ich bringe Ihnen 35 Leute, die mich toll finden. Das ist doch absurd. Zwei Geschichten bin ich nachgegangen, da gab es Strafverfahren. Da ging es weit unter die Gürtellinie. Völlig hilflos ist man nicht, trotz vermeintlicher Anonymität. Einen habe ich vor Gericht bekommen, der hat richtig Strafe gezahlt.

Wie steckt man solche Beleidigungen weg?

Indem ich das Ganze als das identifiziere, was es ist: anonymes Auskotzen. Ich weiß, dass es für die jüngeren Kollegen schwieriger ist, das auszublenden. Manch einer von ihnen schaut ja schon während der Spiele, wie er in den Sozialen Medien abschneidet. Manche Leute haben zu viel Zeit. Ich kann mich jedoch nicht mit Dingen beschäftigen, die unter aller Kanone sind.

Der Ex-Nationalspieler Per Mertesacker hat vor Wochen eine große Debatte über Druck im Fußball losgetreten. Wie verhält es sich denn mit dem Druck auf den TV-Kommentator, wenn ein Millionenpublikum oder wie in einem WM-Finale sogar die halbe Nation zuschaut?

Das ist ähnlich wie in der Diskussion um Mertesacker: Das muss jeder mit sich ausmachen, das ist bei jedem unterschiedlich, ich will das nicht verallgemeinern. Wenn ich in der Öffentlichkeit arbeite, kann das Gefühl aufkommen, es allen recht machen zu wollen. Das geht aber nicht. Das muss man in dem Job sehr schnell lernen. Du kannst noch so gut kommentieren, es wird immer Leute geben, die sagen: nein, danke. Wenn es unanständig wird, muss man das ausschalten. Ich konnte mir das leisten, ich hatte schon ein paar Meilen abgeflogen.

Wie gut sind unsere TV-Kommentatoren in Deutschland?

Ich möchte nichts zu einzelnen Kollegen sagen.

Das sollen Sie auch gar nicht – wie würden Sie das allgemeine Niveau einschätzen, vielleicht auch im internationalen Vergleich?

Es gibt gute und weniger gute Kommentatoren – alles wie im richtigen Leben. Wir sind keine Spezies vom Mars. Jedes Land hat seine eigene Fernsehkultur, es gelten andere Qualitätsmerkmale. Manche schreien ja eine Viertelstunde Goal, Goal, Goal – und genau das ist dort vielleicht gefragt. Es ist viel Geschmäcklerisches dabei.

2016 haben Sie nach langen Jahren im deutschen Fernsehen aufgehört. In der neuen Saison geben Sie indes ein Comeback und werden für den Schweizer Pay-TV-Sender Teleclub Champions-League-Spiele kommentieren – wollen Sie sich das wirklich nochmal antun?

Ich mache das für neun Spiele. Ich tue mir gar nichts an, ich tue etwas, das mir einen Heidenspaß macht. Ich bin 68. Ein Shitstorm in den Sozialen Medien geht mir da vorbei, wo er hingehört – am A . . . .