Günther Oettinger ist in Sachen Integration unterwegs in der Heimat: Der EU-Kommissar besucht die private Bil-Schule im Hallschlag und ist von ihr ganz angetan. Doch das Konzept hat auch Kritiker.

Stuttgart - Wolfgang Schuster war schon da, der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, und der SPD-Fraktionschef im Landtag, Claus Schmiedel, ebenso. Zur Eröffnung im Januar war sogar der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erschienen. Nun hat ein weiterer prominenter Politiker die Bil-Privatschule besucht: Am Montag nahm Günther Oettinger (CDU) den Neubau im Hallschlag in Augenschein – und war angetan.

 

Die Bil-Schule sei „ein toller Beitrag“ zur deutschen Bildungslandschaft und zur Integration, und „sie steht allen offen“, sagte der EU-Energiekommissar. Bei der Grundsteinlegung des Gebäudes, in dem in Zukunft 850 Schüler Platz finden sollen, war Oettinger noch als Ministerpräsident gewesen. Zum Besuch an diesem Montag habe ihn „reine Neugierde“ getrieben. „Ich fühle mich dem Privatschulwesen verpflichtet“, sagte der CDU-Grande, der zwischen Brüssel und Baden-Württemberg pendelt. Der Wettbewerb zwischen staatlichen Schulen und Privatschulen „erweitert unsere Bildungslandschaft“.

Doch es gibt auch eine andere Sicht der Dinge. Ausgerechnet die türkischstämmige Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) erklärte neulich, dass sie von einem Besuch jener Schulen „Abstand nehmen“ wolle, die dem islamischen Prediger Fethullah Gülen nahestehen. Bis vor kurzem bekannte sich auch die Bil-Schule noch als von den Ideen der Gülen-Bewegung „inspiriert“. Weltweit soll Gülen acht bis zehn Millionen Anhänger haben; er gilt als konservativer Modernisierer des Islams. Bildung ist für ihn die Voraussetzung für Muslime, auch in der westlichen Welt Erfolg zu haben. Daher sollen seine Anhänger Schulen und keine Moscheen bauen, fordert er.

Öney verlangt Transparenz von der Bewegung

Kritiker wähnen hinter der Bewegung jedoch eine versteckte islamistische Agenda. Beweise gibt es dafür allerdings nicht. So wolle sich auch Integrationsministerin Öney keinem Dialog mit den Gülen nahestehenden Institutionen verschließen, hieß es aus ihrem Haus. Doch sie verlange, dass die Bewegung transparent mit ihren Strukturen und Finanzen umgehe.

Günther Oettinger hat derweil keine Berührungsängste mit der Institution auf dem Hallschlag. Mit dem Geschäftsführer der Bil-Schule, Muammer Akin, geht er durch helle Flure und großzügig bemessene Treppen einer Einrichtung, die Realschule und Gymnasium zugleich ist – und Teil einer türkischen Bildungsbewegung, die von Eltern und Unternehmen finanziert wird. Insgesamt 26 Millionen Euro habe der Neubau gekostet, sagt Akin. Jedes Klassenzimmer ist mit Eichenholzparkett ausgelegt, und vor jeder Tür hängt ein Schild mit dem Namen eines Großspenders. Die Geldgeber sind dabei fast ausschließlich türkischer Herkunft.

Auch Kinder aus bildungsfernen Schichten haben eine Chance

Für Oettinger ist der Besuch freilich auch ein Wiedersehen mit einem „alten Weggefährten“, wie er sagt: Manfred Ehringer. Der 80-Jährige war einst Leiter des Staatlichen Schulamtes in Stuttgart. Im Ausländerausschuss lernte er Muammer Akin kennen. Der konnte ihn schließlich für seine Idee einer von Türken gegründeten Privatschule gewinnen. Ehringer entwickelte für die Schule das pädagogische Konzept, das vor allem auf eine individualisierte Lernsituation abzielt.

So versteht Ehringer denn auch Integration in einem pädagogischen, nicht in einem politischen Sinn: „Jede Form der Erziehung ist eine Grundform der Integration“, sagt er. Die Bil-Schule soll auch Kindern aus bildungsfernen Schichten die „Kompetenz geben, sich mit der Gesellschaft zu identifizieren“, ergänzt der ehemalige Schulamtsleiter.

Als Günther Oettinger sich dann den Fragen einiger Elftklässler stellt, wirken diese ganz und gar nicht desinteressiert. Die Klasse besteht aus 13 Schülern, etwa die Hälfte Jungs, die andere Mädchen. Einige tragen Kopftuch. Die Schüler wollen wissen, warum die Bundesregierung erst für, dann gegen Atomkraft war, warum trotz der Katastrophe von Fukushima andere europäische Länder weiterhin Atomkraftwerke bauen oder warum der Strompreis in Europa nicht überall gleich ist. Oettingers Antworten sind mit Zahlen gespickt, aber auch plastisch. „Wenn Ihr den Tank füllt, geht ein Drittel von Eurem Geld zum Scheich von Arabien und zwei Drittel an den Doktor Schäuble.“