Als vor rund 20.000 Jahren die ersten Menschen aus Sibirien nach Nordamerika einwanderten, mussten sie womöglich über Jahrtausende im hohen Norden ausharren. Der Weg in den Süden wurde erst frei, als die Eiszeit endete und die Gletscher schmolzen.

Stuttgart - Als vor rund 28 000 Jahren die Gletscher in Europa und Nordamerika weit nach Süden vordrangen, steckte in ihnen so viel gefrorenes Wasser, dass die Spiegel der Ozeane 120 bis 130 Meter niedriger lagen als heute. Flache Meeresregionen wie die Beringstraße zwischen Alaska und Sibirien waren damals trockengefallen. Beringia nennen Wissenschaftler dieses heute wieder geflutete Land, über das Menschen aus Asien bis weit in den Süden Amerikas vordrangen. Neu ist nun die Überlegung von Dennis O’Rourke von der University of Utah im US-amerikanischen Salt Lake City und seinen Kollegen in der Fachzeitschrift „Science“, nach der die Einwanderer auf Beringia eine immerhin zehntausend Jahre lange Rast einlegten.

 

Weil zu wenige Niederschläge fielen, bildete sich damals in weiten Teilen von Sibirien und Beringia keine Eisdecke. Durchzuwandern schien also gut möglich, dort zu leben aber eher nicht. Schließlich wuchsen keine Bäume, mit deren Holz man in den Wintermonaten heizen und kochen, aber auch Behausungen bauen konnte. Zumindest nahmen Forscher das bisher so an. In den vergangenen Jahren aber bohrten Wissenschaftler tief in den Untergrund von Sümpfen in Alaska und am Boden der Beringstraße. In den dort auf dem Höhepunkt der Eiszeit abgelagerten Schichten tauchen auch etliche Pollen von Büschen sowie Fichten, Birken, Weiden und Erlen auf. „Statt einer öden, endlosen Grastundra war Beringia also eher eine Savannenlandschaft mit schützenden Bauminseln“, vermutet Dennis O’Rourke. Bau- und Brennholz für den langen Winter gab es also.

Im Sommer war es immerhin warm genug für Mücken

Überhaupt war das Klima zumindest in der wärmeren Jahreszeit viel angenehmer, als man es für den Höhepunkt der Eiszeit annehmen würde. „Im Sommer erreichten die Temperaturen vor allem in vielen tiefer liegenden Regionen von Beringia die durchschnittlichen Werte von heute und lagen in anderen Gebieten nur wenig darunter“, fasst Dennis O’Rourke zusammen. So finden Wissenschaftler heute auf beiden Seiten der Beringstraße in den Ablagerungen die Reste von Insekten, die nur in solchen milden Sommern überleben.

Offensichtlich schaufelten damals Strömungen im Nordpazifik Wärme und Feuchtigkeit in den Süden von Beringia. „In dieser Zeit lebten vermutlich große Herden von Büffeln und Mammuts auf den Grasflächen des Hochlandes, während in tieferen Regionen Vögel und Elche unterwegs waren, die auch gern an Büschen und Bäumen knabbern“, schildert der US-Forscher eine Eiszeitwelt, in der Menschen gut überleben konnten. Platz fanden die Steinzeitjäger dort ebenfalls genug: Auf dem Höhepunkt der Eiszeit erstreckte sich Beringia zwischen dem Mackenzie-Fluss in Kanada und dem Werchojansker Gebirge in Sibirien fast 5000 Kilometer.

Weshalb aber blieben die Menschen in dieser im Sommer zwar angenehmen, im Winter aber doch sehr rauen Landschaft? Weil ihnen auf der amerikanischen Seite der Weg versperrt war. Dort hatte sich ein Eispanzer gebildet, der weite Teile Nordamerikas bedeckte. Von diesem zog sich über die heutige Inselkette der Aleuten ein Eisrücken, der Beringia nach Süden abriegelte. Weiter im Westen bildete das Wasser des Nordpazifiks eine unüberwindliche Hürde auf dem Weg nach Süden. Die Regionen im Westen von Beringia waren extrem kalt – dort lebten keine Menschen, vermutet Dennis O’Rourke. Und dazwischen schnitt eventuell ein weiterer Eispanzer den Weg nach Asien ab, der sich von der heutigen Halbinsel Kamtschatka weit nach Norden gezogen haben könnte.

O’Rourke verweist auch auf einige genetische Eigenschaften, die nur in den Ureinwohnern Nordamerikas und in zwei Völkern auftauchen, die im Nordosten Asiens leben. Seiner Ansicht nach deutet das darauf hin, dass die Menschen in Beringia in der Zeit vor 25 000 bis vor 15 000 Jahren weitgehend isoliert waren, bis die Gletscher schmolzen. Allerdings sind diese genetischen Hinweise noch recht dünn, vermutet der Spezialist für die Analyse alten Erbgutes Michael Hofreiter von der Universität Potsdam. Und auch O’Rourke würde seine Theorie gern mit handfesten Daten untermauern. Das könnten die Reste von Siedlungen sein, die er unter den Ablagerungen der Beringstraße vermutet.