Ein Homosexueller fühlte sich in Ingersheim jahrelang diffamiert. Als er sich von einer Jungen-Clique provoziert fühlt, rastet er aus. Jetzt wurde der Fall am Amtsgericht verhandelt.

Besigheim - Ralf S. (Name geändert) lebt seine Homosexualität offen. Das ist ihm wichtig. „Schließlich leben wir in einem modernen Staat“, sagt er. Allerdings hat der 32-Jährige fünf Jahre lang in Ingersheim gelebt. Seither weiß er: „So tolerant sind wir leider doch nicht immer.“ Am Amtsgericht Besigheim musste er sich wegen gefährlicher Körperverletzung und der Verbreitung von Pornografie verantworten. Der Richter warf ihm vor, mit seiner sexuellen Orientierung zu kokettieren – statt Konflikten aus dem Weg zu gehen.

 

Im Mai 2013 hat S. einem 15-Jährigen eine Gabel in den Handrücken gestoßen, wenige Wochen später würgte er einen 13-Jährigen so stark, dass dieser über akute Atemnot und länger andauernde Schmerzen am Kehlkopf klagte. Dinge, zu denen sich nach Ansicht von Staatsanwalt Gerald Blattert „ein normaler Erwachsener“ nicht hinreißen lassen würde. Nicht, wenn er von Minderjährigen provoziert werde und nicht, wenn er manche Orte meiden könne: „Warum sind Sie denn immer wieder in dieses Kebab-Haus gegangen?“

Bis aufs Blut gereizt

Der Angeklagte räumte die beiden Gewaltakte ein. „Ich weiß, dass das nicht in Ordnung war, ich habe mich dazu hinreißen lassen“, sagte er. Immer wieder sei er in „dem Bauerndorf“ (Ralf S.) als „Scheißschwuchtel“ oder „dummer Schwuler“ beschimpft worden. Vor allem drei 13 bis 15 alte Jungen hätten ihn immer wieder provoziert. So sei es auch zu der Gabelattacke gekommen: Der 15-Jährige habe die Hand neben seinen Teller gelegt und zu den Freunden gesagt: „Wetten, dass sich die Schwuchtel nicht traut, zuzustechen.“ Irgendwann sei er ausgerastet und habe tatsächlich mit der Gabel zugestochen, sagte S. Der Junge trug Narben davon.

Weil ihn die Clique bis aufs Blut gereizt habe, sei er auch wenige Wochen später dem 13-jährigen an die Gurgel gegangen. „Ich habe ihn gewürgt und gegen eine Glastür geschubst.“ Eigentlich sei er ein ausgeglichener Mensch, und was er getan habe, sei unter seinem Niveau. Aber er habe sich von den Jugendlichen nicht den Radius seines Lebens einschränken lassen wollen: „Der Wirt des Lokals ist ein Freund von mir.“

Porno auf Smartphone

Den Vorwurf, er habe Pornografie verbreitet, wollte S. allerdings nicht auf sich sitzen lassen. Die Jungen hatten angegeben, er habe sie gezwungen, einen Schwulenporno auf seinem Smartphone anzuschauen oder doch wenigstens die entsprechenden Geräusche mit anzuhören. „Ich habe mir den Film selbst angesehen, aber in dezenter Lautstärke“, sagte S. Doch dann hätten ihn die Jugendlichen umringt, und er habe daraufhin sofort ausgeschaltet.

Wirklich relevant seien nur die Fälle von Körperverletzung, meinte der Staatsanwalt Blattert. Auch wenn S. jetzt in einer anderen Stadt lebe, gerate er wegen seiner Wutausbrüche und seiner Art, sich auffallend als Schwuler in Szene zu setzen, wohl auch künftig in ähnliche Situationen. „Wenn wir dieses Verfahren normal durchziehen, ist keinem gedient.“ Darum wollte er einen Deal, den am Ende alle Prozessbeteiligten akzeptierten: Die minderjährigen Zeugen mussten nicht aussagen, und S. wurde zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt – mit der Auflage, dass er an einem Antiaggressionstraining teilnimmt.