Ein halbes Jahr lang haben wir uns wöchentlich mit besonderen Paaren aus Baden-Württemberg über ihr Leben unterhalten. Ein Resümee der Serie „Beziehungsweise“.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Menschen interessieren sich für Menschen. Und zwar nicht nur aus reiner Neugier, sondern auch, weil sie sich selbst näherkommen wollen. Durch den Anderen lernen wir uns besser kennen, gerade wenn es um die ganz großen Themen des Lebens geht – wie die Liebe.

 

Träumen wir nicht alle von einer harmonischen Partnerschaft? Erinnern wir uns nicht sehnsüchtig an die Zeit des Frischverliebtseins? Würden wir nicht gerne (zumindest einen Hauch) dieses Gefühls über Jahrzehnte hinweg erhalten? Und ist nicht jedes Wort, das uns dabei helfen könnte, genauso wichtig wie die Nachricht, ob die Bundesregierung die Einkommensteuer senken will oder ob morgen zum x-ten Mal Feinstaubalarm ist?

Zwischen dem 31. Januar und dem 13. Juni hat die Stuttgarter Zeitung zwanzig Paaren aus Baden-Württemberg insgesamt 306 Fragen gestellt und von ihnen unterm Strich 674 Antworten erhalten – und zwar sehr unterschiedliche. Wie wichtig ist die sexuelle Treue in einer Partnerschaft? „Wir alle wollen jemand Vertrauten haben, der voll und ganz zu uns steht – auch in körperlicher Hinsicht“, meint der katholische Theologe und Eheberater Hans Jellouschek in der Auftaktfolge unserer Serie „Beziehungsweise“. „Die ganzen Beschränkungen einer monogamen Beziehung würden mich unglücklich machen“, verrät hingegen der Informatik-Student Niels Rohwer in Folge 16. Welche Rolle spielt das Äußere? „René ist ein schöner Mann, aber ehrlich gesagt war er nie mein Typ“, sagt Maria Weller über ihren Gatten, den Ex-Boxer René Weller. „Ich habe mich noch mal neu verliebt, sie gefällt mir jetzt sogar noch besser“, erzählt Marion Bolten über ihre Frau Nicki, die einst ihr Mann Norbert war.

Was verbindet zwei Menschen?

Aus zwanzig Interviews ergibt sich kein repräsentatives Bild über das Liebesleben in unserem Land. Und doch deckt sich unsere zufällige Auswahl in vielen Punkten mit der offiziellen Statistik: Bei drei von vier Ehepaaren ist der Mann älter als die Frau – in unserer Serie betrug der Unterschied bis zu 24 Jahre (Wolfgang und Elisabeth Grupp). Die meisten Menschen wählen einen Partner oder eine Partnerin mit ähnlicher Herkunft, ähnlichem Bildungsniveau und ähnlichen Wertvorstellungen: Der Schauspieler Walter Sittler ist mit der Filmemacherin Sigrid Klausmann verheiratet, der Golflehrer Jelto Kerkmann lernte die Fitnesstrainerin Svenja Hinzel auf einem Kreuzfahrtschiff kennen, und der oberschwäbische Bauer Alois Fleischer heiratete vor 60 Jahren die Bauerntochter Luzia, nachdem sie sich beim Biberacher Schützenfest begegnet waren.

Auch geteilte Liebe für den VfB Stuttgart (Patrizia Gentile und Tim Legler), eine gemeinsame Leidenschaft für Fernreisen (Gwen Weisser und Patrick Allgaier) oder ein ähnliches Schicksal können verbinden: Agnes und Richard Bastian sind beide blind und finden sich zusammen seit bald vier Jahrzehnten bestens zurecht.

Es heißt, dass Hund und Halter sich oft ähnlich sehen. Wenn man sich die Porträtfotos von unseren Paaren anschaut, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sich auch Ehemann und Ehefrau mit den Jahren optisch angleichen – wenn sie nicht (unbewusst?) von vornherein nach ihrem femininen oder maskulinen Spiegelbild gesucht haben.

Doch genug der trivialen Betrachtung, wenden wir uns wissenschaftlichen Erkenntnissen zu. „Wir suchen Partner, die uns in unserer eigenen Entwicklung voranbringen“, sagt Wolfgang R. Hantel-Quitmann, Professor für Familienpsychologie an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft Hamburg. Liebesbeziehungen seien dazu da, neue Erfahrungen zu sammeln, Ängste zu überwinden und Sehnsüchte zu erfüllen. Im Idealfall lernen die Partner voneinander. Das Gegenteil davon, das Destruktive in einer Partnerschaft, hat John Gottman untersucht. Der Psychologe konnte in einer Studie an der University of Washington vier Kommunikationsgewohnheiten identifizieren, die eine Ehe zerstören: Schuldzuweisungen, Verleugnung eigener Fehler, Geringschätzung des Partners sowie Kommunikationsverweigerung und Rückzug.

Zwischen Nähe und Selbstständigkeit

Was verbindet die zwanzig – in unserer Wahrnehmung – glücklichen Paare, mit denen wir gesprochen haben? Sie betrachten ihre Beziehung als ein Geben und Nehmen, sind kompromissbereit. Beide Partner haben ein Gleichgewicht zwischen Nähe und Selbstständigkeit entwickelt. Sie erkennen, dass der andere nicht zu hundert Prozent den eigenen Erwartungen gerecht werden kann, nehmen ihn, so wie er ist, mit all seinen kleinen Macken. Ob er ein „furchtbarer Pedant“ ist (Elisabeth Grupp über ihren Mann Wolfgang) oder sie ihn „mit der Hochzeit überrumpelt hat“ (René Weller über seine Frau Maria) – das Geheimnis einer langjährigen Beziehung ist wohl auch, dass man sich mal richtig kabbeln und darüber lachen kann.

Zum Resümee der Serie „Beziehungsweise“ gehört leider auch die Tatsache, dass nicht jedes Interview, das wir uns gewünscht hätten, stattfinden konnte. Gerne hätten wir mit einem christlich-muslimischen und einem deutsch-afrikanischen Paar gesprochen, doch aus Angst vor Reaktionen vom ultrarechten Rand wollten die Angefragten nicht öffentlich und ungeschützt über ihre Liebe reden. Solche Ängste zeigen, dass in unserer Gesellschaft etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Wir sollten schleunigst gegensteuern.

Beschließen wollen wir die Serie „Beziehungsweise“ mit dem Leserecho. Die Epileptikerin Melanie Probst und ihr Mann Elmar sprachen darüber, wie sich die schwere chronische Krankheit auf ihren Alltag auswirkt. Nach der Veröffentlichung schrieb uns der Stuttgarter Neurologe Dieter Dennig: „Es kommt nicht oft vor, dass Epilepsie so selbstverständlich und unspektakulär in der Presse behandelt wird. Für meine Patientinnen und Patienten ist dieser Artikel ein Segen.“

Mit Abstand die größte Resonanz erzeugte das Gespräch mit Frank und Martina Gmelch. Jahrelang hielten sie ihre Beziehung geheim, sonst hätte er nicht mehr katholischer Pfarrer sein können. Als Frank Gmelch im Oktober 2010 dem Bischof die Wahrheit erzählte, wurde er vom Kirchendienst suspendiert. Den Abschied von seiner Gemeinde beschrieb er uns so: „Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Martina und ich gingen nach vorne. Noch bevor wir ein Wort sagen konnten, standen die Leute auf und applaudierten. Minutenlang.“

Wir danken allen Paaren für ihre Worte.