Bisher hat nur die jüdische Gemeinde ihren eigenen Friedhof in Stuttgart - jetzt melden auch andere Religionsgemeinschaften Bedarf an.

Stuttgart - Seit 25 Jahren kümmert sich Eve Warscher um den jüdischen Friedhof im Steinhaldenfeld und muss zusehen, wie sich die Gewohnheiten ändern. Auf immer mehr Gräbern finden sich Blumengestecke und Sträuße, wie sie auf christlichen Friedhöfen üblich sind, auf jüdischen aber nicht. „Wir haben Schilder aufgestellt und klar formuliert, dass Blumen auf den Grabstätten verboten sind, aber es hält sich kaum einer daran“, stellt die 58-Jährige ernüchtert fest. Die Zuwanderer aus Osteuropa, die inzwischen einen großen Teil der jüdischen Gemeinde in Stuttgart ausmachen, bringen ihre eigenen Bräuche mit und tragen diese auch auf den Friedhof.

 

Bereits in den 1930er Jahren hat die jüdische Gemeinde das Grundstück im Steinhaldenfeld von der Stadt Stuttgart gekauft und dort einen eigenen Friedhof eingerichtet, der es möglich macht, die Toten nach jüdischem Ritus zu bestatten und ihnen auch ein ewiges Grabrecht zuzugestehen, das sonst auf keinem anderen Stuttgarter Friedhof gewährt wird. Überall sonst gelten klare Fristen: Ein Reihengrab läuft endgültig nach 20 Jahren aus, ein Wahlgrab ebenfalls nach 20 Jahren, wer verlängern will, muss dafür bezahlen. „Auf dem jüdischen Friedhof gelten die Regeln der Gemeinde. Wir heben lediglich die Gräber aus, schütten sie wieder zu und stellen die Dienstleistung in Rechnung“, erklärt Martin Kerlen, Planer im Friedhofsamt.

Ewiges Ruherecht für die Toten

Die Israelitische Religionsgemeinschaft hat das, wovon die muslimischen Verbände im Moment nur träumen können: einen eigenen Friedhof. „Auf lange Sicht müssen auch wir muslimischen Verbände uns zusammentun, um dieses Ziel zu erreichen“, fordert Yavuz Kazanc vom Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ). Für den Moment aber ist der Vereinsvorsitzende mit dem Gräberfeld auf dem Hauptfriedhof zufrieden. Allerdings würde auch er sich ein ewiges Ruherecht für die Toten wünschen.

Vor 25 Jahren hat die Stadt Stuttgart auf Wunsch islamischer Vereine am äußerten Rand des Hauptfriedhofs ein Gräberfeld für Muslime eingerichtet, das seither langsam, aber stetig wächst. 490 Gräber sind es inzwischen, wer die Reihen entlang schreitet, taucht in eine andere Welt ein. Aus dem Boden ragen steinerne Halbmonde, Korane, riesige Herzen, aber auch einfache Holzlatten, auf denen handschriftlich die Namen der Toten vermerkt sind. Daneben finden sich provisorische Zäune, die die Gräber umranden und die den Oberaufseher Uwe Verwey den Kopf schütteln lassen. Der robuste Friedhofsmitarbeiter spricht ironisch von „Anarchie“, gegen die man nicht ankomme. „Dass die Steinplatten mindestens 18 Zentimeter dick sein müssen, interessiert hier viele einfach nicht.“ Entscheidend ist etwas ganz anderes: dass die Toten nach Mekka ausgerichtet sind.

Die Älteren ziehen die Rückkehr in die alte Heimat vor

Für den Planer Martin Kerlen ist das islamische Gräberfeld dennoch ein Erfolg, auch wenn im Moment gerade 0,8 Prozent aller Bestattungen darauf entfallen. Von den 4926 Beisetzungen im Jahr 2011 waren 39 auf dem muslimischen Feld. „Man muss aber sehen, dass die Bestattungen insgesamt seit Jahren rückläufig sind, die in dem muslimischen Abschnitt aber steigen“, sagt Kerlen. Er verweist deshalb auf die Erweiterungsflächen neben dem Friedhof, auf denen derzeit Spargel angebaut wird. Nach Ansicht des muslimische Bestatter Eyup Ilgün müssen noch Jahre vergehen, bis sich mehr Muslime in Deutschland bestatten lassen. „Erst die jüngere Generation denkt um.“ Die Älteren aber ziehen die Rückkehr in die alte Heimat vor, das türkische Generalkonsulat in Stuttgart genehmigt jedes Jahr zwischen 500 und 600 Überführungen. Viele türkische Migranten wollen im Tod zu ihren Ahnen zurück, für die Rückkehr aber gibt es auch handfeste finanzielle Gründe. „Eine Überführung kostet 2000 Euro, eine würdige Bestattung in Deutschland 5000 bis 6000 Euro“, rechnet Ilgün vor. Hinzu kommt, dass die meisten türkischen Migranten in Bestattungsfonds der islamischen Verbände einzahlen. Wer Mitglied wird, entrichtet eine einmalige Gebühr und anschließend 50 bis 60 Euro im Jahr, dafür übernimmt der Bestattungshilfeverein im Todesfall die Kosten für die Rückführung, Familienmitglieder sind mit versichert. Allein in den Bestattungsfonds der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), die dem türkischen Staat nahesteht, zahlen bundesweit 200 000 Familien ein. „Wenn uns am Morgen ein Verstorbener gemeldet wird, sorgen wir schnell für die rituelle Waschung und das Totengebet, so dass der Tote schon am Nachmittag im Flugzeug sein kann“, sagt Ilgün, der für Vakif arbeitet, ein Unternehmen, das auch Urlaubsreisen anbietet. Die Bestattung in der Türkei finde in der Regel schon am nächsten Tag statt.

Orthodoxe Gemeinden wollen auch ein Gräberfeld

Während bei den türkischen Migranten die Rückführung noch immer der Normalfall ist, entscheiden sich immer mehr orthodoxe Zuwanderer auch nach dem Tod für Deutschland. „Die Menschen haben Kinder und Enkel hier und wollen bleiben“, sagt der serbische Priester Bratislav Bozovic. Deshalb haben sich vier orthodoxe Gemeinden beim Friedhofsamt angefragt, ob im Stuttgarter Süden ein christlich-orthodoxes Gräberfeld möglich sei. „Wir prüfen das gerade, allerdings müsste der Gemeinderat dafür die Satzung ändern“, sagt Martin Kerlen. Bisher sind religiöse Gemeinschaftsgräberfelder lediglich auf dem Hauptfriedhof zugelassen. In Frage kommen aus Sicht des Friedhofsamts der Dornhalden- sowie der Buchrainfriedhof. Bozovic rechnet mit mehr als hundert orthodoxen Bestattungen im Jahr und verweist auf München, Hamburg und Düsseldorf, die bereits entsprechende Gräberfelder eingerichtet haben. Wie bei den Muslimen und Juden auch, bestehen auch die orthodoxen Christen auf der ewigen Grabruhe.

Totenwäsche, Tonscherben und Erde aus Israel

Was Orthodoxe, Muslime und Juden darüber hinaus verbindet, ist die Erdbestattung, die insgesamt betrachtet rückläufig ist. In Stuttgart liegt der Anteil der Einäscherungen bereits bei gut 60 Prozent. „Unsere Religion aber lässt eine Verbrennung nicht zu“, erklärt Eve Warscher von der jüdischen Gemeinde. Fast 800 Grabstätten zählt der jüdische Friedhof inzwischen, auf dem viele religiösen Rituale gepflegt werden, auch wenn viele Kosten an der Gemeinde hängen bleiben. Dazu gehören die Totenwäsche genauso wie die Tonscherben, die den Verstorbenen auf Augen und Mund gelegt werden. Und dazu zählt auch das Säckchen mit Erde aus Israel, das jedem Toten in den Sarg gelegt wird. „Nur wenige lassen sich nach Israel überführen“, sagt Warscher, die dafür sorgt, dass immer genug israelische Erde in Stuttgart lagert.