Vor dem Bundesfinanzhof geht es um wegweisende Steuerfragen, die über 20 Millionen Deutsche betreffen könnten. Die Urteile werden am 31. Mai erwartet.

München - Horst Bangert ist sich seiner Bedeutung bewusst. „Ich stehe hier für 21 Millionen Rentner“, sagt der 78-jährige Ex-Steuerberater aus Baden-Württemberg zu Richtern des Bundesfinanzhofs (BFH) in München. Dann beginnt er mit einem 45-minütigen Vortrag, der sich wie ein Steuerseminar anhört. Es soll belegen, dass er wie viele andere Pensionäre zu viele Steuern zahlt (Aktenzeichen XR33/19).

 

Auf verfassungswidrige Doppelbesteuerung lautet der Vorwurf auch seines Mitklägers Gert Zimmermann (XR20/19). Der 74-jährigen Ex-Zahnarzts aus Hessen hat für seinen Bescheid 2009 ausgerechnet, dass der Fiskus 860 Euro zu viel verlangt. In Folgejahren sei diese Summe angestiegen, weil jedes Jahr immer höhere Teile der Rente besteuert werden, moniert der Rentner. 2040 wird laut Gesetz die volle gesetzliche Rente steuerpflichtig. Es sei kompliziert, räumt vor dem BFH ein Vertreter des Bundesfinanzministeriums nüchtern ein. „Die Rechtslage ist spannend und erklärungsbedürftig“, sagt er.

Richterin ist bewusst, dass nichts Alltägliches verhandelt wird

In der Sache widerspricht er indessen vehement. Es liege keine Doppelbesteuerung vor. Auch BFH-Richterin Jutta Förster ist klar, dass nicht Alltägliches verhandelt. „Es ist ein Fall von besonderem Interesse“, stellt sie gleich zu Beginn klar und hört sich fortan ohne erkennbare Regung den Austausch der Argumente an. Eine Rechtsmeinung lässt das fünfköpfige Richtergremium nicht erkennen. Bei den Verfahren geht es nicht um die Frage, ob Rentenbesteuerung in Deutschland grundsätzlich rechtens ist. Das ist sie. Umstritten ist aber, wie Steuern auf Renten berechnet werden und ob es der Bund dabei übertreibt. Das sagen neben den Klägern und dem am Verfahren beteiligten Bund der Steuerzahler (BdS) auch Fachleute wie Rentenexperte Bert Rürup oder Egmont Kulosa. Letzterer ist einer der fünf verhandelnden BFH-Richter. Er hat diese Meinung in einem Fachkommentar geäußert. Eine einzelne Richtermeinung sei noch kein Urteil eines Richtergremiums, dämpft der BdS übergroße Hoffnung auf einen Erfolg. Sonst steht der BdS aber hinter den beiden Klägern. „Das Bundesfinanzministerium rechnet sich schön, Rentner reich und erhebt zu hohe Steuern“, sagt BdS-Vertreter Klaus Grieshaber. Es gehe um Grundlegendes, nämlich wie die Steuerlast von Rentner genau berechnet wird.

Doppelbesteuerung im Umfang von 100 Euro

Stand heute hätten 142 000 Rentner ihren Steuerbescheid angefochten. Fünf Millionen und damit ein Viertel aller Rentner seien schon steuerpflichtig. Weitere Millionen kämen in nächsten Jahren dazu. Dabei ist der Grundgedanke nachgelagerter Besteuerung erst einmal vorteilhaft für den Steuerbürger. Dabei dürfen im Berufsleben gezahlte Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben steuermindernd abgesetzt werden. Im Gegenzug wird dann die Rente – nachgelagert – besteuert.

Weil individuelle Steuersätze zu Verdienstzeiten meist höher sind als die bei Rentenbezug, klingt das Ganze erst einmal gut. Problematisch wird es bei der Festlegung, was zum steuerfreien Anteil der Rente zählt. Hier rechnet das Bundesfinanzministerium unter anderem den Grundfreibetrag dazu, der ein für jeden geltendes Existenzminimum und nicht nur Rentnern spezifisch vorbehalten ist. Auch Beiträge unter anderem für Kranken- und Pflegeversicherung von Rentner behandelt der Bund als Teil der steuerfreien Rente. Dieses System ziehe systematische Doppelbesteuerung nach sich, rügt Bangert. Bei Zimmermann hat ein Finanzgericht sogar auf Doppelbesteuerung im Umfang von 100 Euro erkannt, aber befunden, das sei so wenig, dass das betroffene Rentnerehepaar damit leben müsse.

Das Gericht könnte auch alles abschmettern

Eine Bagatellgrenze für Doppelbesteuerung gebe es aber nicht, betont unter anderem der BdS. Grundsätzlich liegt Doppelbesteuerung vor, wenn aus bereits versteuertem Einkommen gezahlte Rentenversicherungsbeiträge in der Summe höher waren als der steuerfreie Teil der Rentenzahlungen. Eine Beispielrechnung des BdS erklärt das für den Fall einer 2020 in Rente gegangenen Deutschen. Bei ihr blieben 20 Prozent ihrer Rente von jährlich 20 000 Euro steuerfrei. Das sind 4000 Euro. Dieser Satz steuerfreier Rente bleibt bei späteren Rentenerhöhungen gleich. Statistisch lebt die Rentnerin noch 17 Jahre. In der Summe ergibt das steuerfreie 68 000 Euro Rente.

Hätte die Frau zu Berufszeiten mehr als das an Beiträgen für die Rentenversicherung bezahlt, läge eine Doppelbesteuerung vor. Der BFH könnte am Ende dem Bund den genauen Rechenweg der Rentenbesteuerung vorgeben, an das Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz verweisen oder auch alles abschmettern. Nach einem Sieg der Rentner auf ganzer Linie sieht es nach der Verhandlung nicht aus. Aber urteilen wird der BFH erst Ende Mai. „Sie haben uns einige Sachen zum Nachdenken gegeben“, sagt Richterin Förster, bevor sie mit Kollegen im Beratungszimmer verschwindet.