Für einige Wochen herrscht auf dem Bioland-Hof der Familie Binder Ausnahmezustand: dann wird kein Käse gemacht, sondern bis zu 200 Ziegenlämmchen erblicken das Licht der Welt. Die Verzückung beim Anblick dieser zarten Geschöpfe ist groß.

Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Weil im Schönbuch - Gerade hüpfen zwei ein Tag alte Zicklein über das frische Stroh, knuffen sich freundlich mit ihren Minihörnchen in die kleinen Bäuchlein. Dann haben sie es auf ihre Mama abgesehen. Mit langen Beinen staksen sie auf den Rücken der liegenden Ziege wie über einen steinigen Berghang. Hoppla, ein Erdbeben drunter, die Mama bewegt sich. Das Lämmchen fällt ins Stroh. Einfach aufstehen und weiterspielen. Bei den ganz kleinen Ziegen ist das Kindchenschema extrem ausgeprägt: runde Köpfchen, kleine Schnütchen und runde Äuglein – ja, man ist verzückt von diesen zarten Geschöpfen. Zugleich sind schon die Kleinsten gewitzt und machen einen lachen. Kinounterhaltung im größten Ziegenkindergarten der Region: Wenn auf dem Bioland-Hof der Familie Binder demnächst alle Lämmer geboren sind, sind es bis zu 200 Jungtiere und mehr als 110 erwachsene Ziegen.

 

Auf dem Biolandhof darf nur Biofutter verfüttert werden

Frieder Binder, der selbst verheiratet ist und drei Kinder hat, bewirtschaftet mit seinen Eltern und seinem Bruder den Bioland-Hof, der eine gute Spaziergangstrecke außerhalb von Weil im Schönbuch liegt. Ruhe und Gelassenheit der Saanen-Ziegen, deren Ursprung in der Schweiz liegt, scheinen auf ihn abzufärben. Oder vielleicht suchen sich Menschen genau die Tiere aus, die zu ihnen passen? Bei den Binders war das eher ein Zufall. Hartmut Binder kannte aus dem Studium einen Ziegenhof und suchte nach einer Entwicklung für den Familienbetrieb. Aus den ersten 20 Ziegen wurden immer mehr, 1996 wurde ein neuer Freilandstall gebaut, zwei Jahre später die eigene Käserei, seit 2012 ist der Binderhof ein Bioland-Hof. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Tiere nur eigenes Biofutter bekommen dürfen.

„Ziegen sind schlau, wie die Sau“, sagt Frieder Binder und lacht. Dumme Ziegen gibt es ebenso wenig wie blöde Schweine oder Kühe. Angesichts von manchem Verhalten menschlicher Zeitgenossen muss man sich wirklich entschuldigen bei der Tierwelt. „Zickig können sie schon sein, etwa, wenn sie in den Melkstand sollen. Da muss man einige Damen besonders bitten“, sagt der 33-Jährige.

Eine Ziegengeburt dauert 15 bis 20 Minuten – wenn alles gut geht

Zurzeit ist die gesamte Herde noch im Stall, der aber eine große Fläche unter freiem Himmel hat. Ab Mai sind die Ziegen täglich vier bis fünf Stunden auf den Weiden um den Hof herum. Im Moment werden aber noch täglich Lämmchen geboren. „Diese Zeit des Jahres ist immer besonders aufregend“, sagt Frieder Binder. Wenn eine Ziege bereit zum Ablammen sei, baue sie sich oft eine kleine Kuhle. Dann lege sie sich ab und meist gehe es dann ganz schnell: 15 bis 20 Minuten dauert die Geburt im Schnitt, weitere 30 Minuten später steht das Zicklein und trinkt. Die Herde hält sich dann zurück. Manchmal helfen ein paar ältere erfahrene Ziegen und schlecken die Neugeborenen sauber, bis die Mutter übernehmen kann. „Es sind sehr soziale Wesen“, beschreibt Binder die Ziegen.

Vier Tage nach der Geburt werden die Kleinen von den Müttern getrennt. „Jedes Jahr ist das anfangs immer etwas schwer“, gibt Frieder Binder zu. Jedes Einzelne wird per Hand an die Tränke gewöhnt, aus der die Lämmchen warme Vollmilch aus Wasser und Kuhmilchpulver nuckeln, wann immer sie Hunger haben. Die Kleinen meckern schon mal, die Mütter antworten auch. Aber es ist nicht so, dass der ganze Stall am Blöken wäre. Und die Grundlage für den Betrieb ist nun mal die Milchproduktion für den Biokäse, den die Binders mehrfach pro Woche herstellen: Frischkäse, Camembert und Schnittkäse; 350 Liter Milch werden so verarbeitet. Jedes Kind weiß es vielleicht nicht: Milch wird nur produziert, wenn eine Mutter Nachwuchs bekommen hat. Aber wenn der Nachwuchs die Milch selbst trinkt, kann sie nicht verarbeitet werden.

Die Spatzen pfeifen vom Dach

Apropos Gemecker: Das Pfeifen der Spatzen, die in den Balken über dem Stall nisten, übertönt das gelegentliche Mähen sogar. Wie es zu dieser Symbiose kam, weiß Binder nicht genau. So ganz glücklich ist er nicht darüber, denn der Kot der Vögel fällt natürlich nach unten. Aber sämtliche Versuche, die Spatzen loszuwerden, scheiterten, sodass die Ziegen nun halt gefiederte Untermieter haben.