Martin Herzog, der ehemalige Wirtschaftsminister von Baden-Württemberg, lebt auf einer Farm in Namibia. Ein Hausbesuch.

Windhoek - Der Empfang entspricht namibischen Gepflogenheiten. Martin Herzog heißt seinen Gast am Tor zu der Sandpiste willkommen, die vom Khomas-Hochland in den Namib-Naukluft-Park am Rand der ältesten Trockenwüste führt, wo dieser Tage alle sehnsüchtig auf Regen warten. Hier verbringt der frühere Wirtschaftsminister Baden-Württembergs eine Hälfte seines Lebensabends.

 

Der Landrover schlängelt sich über einen schmalen Pfad, Herzog muss mehrfach anhalten, um Gatter zu öffnen und wieder zu schließen, stapft dabei durch die Hinterlassenschaften einer Herde Ziegen, die ihn aus einiger Entfernung anstieren. Schließlich passiert man ein flaches, von Kakteen umsäumtes Gebäude mit Wirtschaftsräumen und einem Nutzgarten, dann taucht nach einer Wegbiegung das Farmhaus auf. Es liegt auf einer Anhöhe und wird rückseitig von einem kleinen Turm geschmückt, an dem drei Fahnen aufgezogen sind: die deutsche, die namibische und die von Friedrichshafen.

Den Wohnraum dominiert eine Stereoanlage. Die braucht Martin Herzog für seine Opern: „Ich kaufe sie mir in Blu-ray-Qualität. Ich würde diese wunderbare Musik sonst zu sehr vermissen.“ An der Wand hängt ein mächtiges Geweih, daneben stehen ein elektrisches Klavier und ein Computer, der Herzog via Satellit mit der Welt verbindet. Hier studiert er frühmorgens die Online-Ausgabe seiner Heimatzeitung. Dann stimmt sich der 77-Jährige am Piano mit Werken der Klassiker ein, bevor seine zweite Frau Cornelia das Frühstück auf der Veranda serviert. So lässt sich’s leben.

Der Traum von der Farm

Martin Herzog ist erstmals als Vorsitzender des ZF-Aufsichtsrates nach Südafrika gekommen zu einer Zeit, als die westlichen Industriestaaten das Land wegen der Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung mit einem Wirtschaftsboykott belegt hatten. ZF wollte dort ein Getriebewerk bauen, die Gewerkschaften legten sich quer. „Wir haben die Fabrik trotzdem gebaut“, sagt Herzog.

In der Zeit lernte er auch Namibia kennen. Ein Land, fast drei Mal so groß wie Deutschland, aber mit nur 2,1 Millionen Einwohnern. „Ich wusste gleich, dass ich hier hingehöre. Das ist wie der Blitz, der einschlägt, wenn man die Frau fürs Leben findet.“ 1994 machte er seinen Traum von einer Farm wahr. „Mein einziges Bauwerk, das ich vom ersten Spatenstich an begleitet habe. Es ist ein Geschenk, dass ich das hier machen konnte.“ Geschenkt bekam er es freilich nicht. Aber an finanziellen Mitteln herrscht kein großer Mangel. Er habe seinerzeit auch ein Haus am Bodensee gekauft. „Der Makler wollte mir eine Villa vermitteln, in der ich 500 Gäste bewirten konnte“, sagt er lachend, „die brauchte ich nun wirklich nicht.“

In der namibischen Ödnis kommt selten Besuch vorbei. „Langweilig wird einem hier aber nicht. Wenn man auf einer Farm lebt, ist man ein Teil von ihr“, sagt Herzog. Mit seinem Verwalter, einem deutschstämmigen Namibier, fahre er ständig über die Farm, um den Zustand der Zäune zu kontrollieren oder Ausschau nach Tieren zu halten. Martin Herzog ist Jäger – und das Antilopengeweih an der Wand seine Trophäe: „Es gab hier einen Bock mit nur einem Spieß am Kopf. Aber ich habe ihn nie erwischt. Dann stand er eines Tages plötzlich vor mir und schaute mir direkt in die Augen. Ich habe ihn mit einem Schuss erlegt“, erzählt Herzog. Als sein Farmverwalter ihm den Bock später brachte, hatte das Tier zwei Spieße. „Ein Mirakel!“ Vielleicht. Vielleicht handelt es sich aber auch um eine der schönen Geschichten, die für die langen Farmabende am namibischen Lagerfeuer gemacht sind.

Die Fäuste Gottes

Herzog führt auf die Veranda mit Pool. Die mit Buschwerk bestandene Ebene endet an einer Bergkette am Horizont. Über der Landschaft liegt ein einziges tiefes Blau. „Hier berührt die Erde den Himmel“, sagt der Hausherr. Der Ausläufer einer Bergkette ragt in die Ebene. Darauf steht ein großes Kreuz. „Zum Andenken an meine verstorbene Frau. Sie hat diesen Ort und diesen Blick sehr geliebt.“

Sie haben jedem der Bergrücken einen Namen gegeben: Der Gipfel rechts vom Kreuz erinnert an ein Kamel, gefolgt vom Cockerspaniel, dann kommt eine Bergkuppe, die wie die Damülser Mittagsspitze aussieht. „Dahinten, das sind die Fäuste Gottes, und ganz rechts ist das liegende Haupt des Kaisers Barbarossa.“ Die Witwatersberge, wie dieser Höhenzug weniger romantisch auf den Karten verzeichnet ist, begrenzt die 8000 Hektar große Farm im Norden. Das Gelände zieht sich über mehr als 20 Kilometer in westlicher Richtung entlang der Sandstraße zum Namib-Naukluft-Park und besitzt in südlicher Richtung eine Ausdehnung von mehr als sechs Kilometern.

„Ich wollte nicht in den Bannkreis einer großen Stadt ziehen“, sagt Herzog. „Wenn schon dünn besiedelt, dann richtig.“ Deshalb schlug er das Angebot des Oberkommandierenden der namibischen Streitkräfte aus, zu ihm auf die Farm bei Windhoek zu kommen, und verhandelte lange mit dem Grundbesitzer, dem alles hier gehörte. „Zwei Jahre brauchte ich, bis ich ihn überzeugt hatte, dass ich keiner bin, der nur auf einer Farm rumsitzt.“

Ein Anruf von Lothar Späth

Martin Herzog war in seinem Leben immer gut beschäftigt. Nach seinem Jurastudium in Tübingen wurde er bald die rechte Hand von Karl Schiess, damals Landrat des Landkreises Überlingen. Als Schiess 1972 zum Innenminister aufstieg, folgte ihm Herzog als Landrat des neu gegründeten Bodenseekreises nach. Fünf Jahre später wurde er Oberbürgermeister von Friedrichshafen und zugleich Aufsichtsratschef von ZF. „Mir ist fast alles gelungen“, sagt er, „nur den Ausbau der B 31 habe ich nicht hingekriegt. Das ärgert mich heute immer noch.“

1984 erreichte ihn abends ein Anruf von Lothar Späth. Der Ministerpräsident bot ihm das Amt des Wirtschaftsministers an. Als solcher war Martin Herzog dann unter anderem zu Besuch bei Michail Gorbatschow in Moskau: „Wir haben drei Stunden zusammengesessen. Er wollte wissen, welche Bedingungen herrschen müssen, damit der Mittelstand so wachsen kann wie in Baden-Württemberg. „Aber kommen Sie mir nicht mit Grundeigentum“, habe Gorbatschow gepoltert. „Genau das haben wir ihm dann aber erklärt, dass es ohne Grundeigentum eben nicht geht“, sagt Herzog.

Als er nach fünf Jahren ausschied, lenkte er zunächst die Geschicke der Filztuchfabrik Geschmay in Göppingen. Im Jahr 1991 wechselte er als Geschäftsführer zum Verband der deutschen Automobilindustrie. „Ferdinand Piëch nahm mich mal zur Seite“, erinnert sich Herzog, „um mir eine Empfehlung zu geben, wie ich mein Geld anlegen solle.“ Der Rat habe mit den Sätzen geendet: „Aber eines müssen Sie sich merken: eine Tranche von zehn Millionen müssen Sie immer als freie Summe in der Hinterhand behalten“, erzählt Herzog lachend. Piëch habe die Finanzmittel des Geschäftsführers wohl etwas überschätzt.

Die alte Heimat am Bodensee

Mindestens zweimal pro Jahr besteigt er mit seiner Frau die Linienmaschine und legt die 9000 Kilometer zwischen seinen beiden Häusern zurück. Hier wie dort genießt er den Sommer. „Wenn ich in Friedrichshafen auf meiner Terrasse sitze, träume ich von der Veranda in Namibia – und umgekehrt.“ Wo fühlt er sich mehr zu Hause? „Am Bodensee!“ Die Antwort kommt ohne Nachdenken. In Friedrichshafen habe er seine Wurzeln, dort lebten seine Freunde, dort sei er ins Vereinsleben eingebunden. „Man kann nur eine Heimat haben“, sagt Herzog. Für ihn gibt es keinen Zweifel daran, dass er seine letzten Lebensjahre in der Zeppelinstadt verbringen wird – „dann, wenn ich einmal Hilfe brauchen werde“, sagt er und schneidet sich noch einen Stück vom Springbocksteak ab, natürlich aus eigener Jagd. Dazu gibt es selbst geschabte Spätzle und einen kühlen südafrikanischen Wein.

Noch ist bei Martin Herzog wenig Ermüdung zu spüren. „Man kann hier nicht dem Alter entfliehen, aber ich habe das Gefühl, dass man auf Okusuva langsamer alt wird.“ Okusuva, so hat er seinen afrikanischen Altersruhesitz genannt. Der Name bedeutet in der Sprache der Hereros, einer der elf namibischen Volksgruppen, „Ort der Ruhe“.

Hat er keine Angst, ganz allein mit seiner Frau in der namibischen Wildnis zu leben? Gerade ist in der Nähe wieder ein Farmehepaar überfallen und ausgeraubt worden. „Die Angst ist nicht so ausgeprägt“, sagt er. Als Pilot, der mehr als 3500 Flugstunden in seiner Cessna zurückgelegt hat, sei er schon oft in der Hand Gottes gewesen. „Irgendwann ist Schluss, das ist aufgezeichnet, davon bin ich überzeugt.“ Als er am nächsten Tag zu einer Rundfahrt über seine Farm startet, trägt er gleichwohl eine Pistole im Holster. Sicher ist sicher.