Der "Bergdoktor“ bricht Quotenrekorde und genießt bei den Fans Kultstatus. Jetzt stimmt das ZDF mit einem Winterspecial auf die achte Staffel der etwas anderen Arztserie ein, die ab Januar ausgestrahlt wird. Wir haben den Bergdoktor in Tirol besucht

Stuttgart - Auf einem Hügel über dem Tiroler Dorf Ellmau, in einem balkonumrankten Haus, das man nicht richtig beheizen kann, in einem Zimmer, das aussieht, als habe jemand eine Arztpraxis per Sperrmüllsuche ausstaffiert, da hängt sie hinter einem alten Schreibtisch an einer geweißelten Wand – die Promotionsurkunde, die Deutschlands beliebtester Arztserie ihre Legitimation verleiht. Oder zumindest ihrem wichtigsten Protagonisten.

 

Ausgestellt ist das Dokument auf den Namen Dr. Martin Gruber, besser bekannt als „Der Bergdoktor“. Abgestempelt wurde es dem Anschein nach von der New Yorker Universität, Fachbereich für Neurochirurgie. Ein Fake womöglich. Ein Requisit von vielen mit nostalgischer Patina. „Wir sind nicht angetreten, um eine hochwissenschaftliche Eins-zu-eins-Situation der heutigen Medizingesellschaft darzustellen – das würden Sie gar nicht sehen wollen“, sagt Hans Sigl, der den Bergdoktor seit 2008 in der gleichnamigen ZDF-Serie verkörpert. „Letztendlich sind wir fiktional und erzählen den Retro-Zustand eines Arztes auf dem Land, den es so nicht mehr gibt.“

Hans Sigls Konterfei hängt am Ortseingang von Ellmau. Wenn man von Going kommt und an der Baustelle links abbiegt, ist es nicht zu übersehen. Die örtlichen Tourismuswerber haben es auf ein riesiges Banner gedruckt. Daneben die Worte: „Herzlich willkommen im Bergdoktordorf!“ Seit „Der Bergdoktor“ regelmäßig von mehr als sechs Millionen Zuschauern gesehen wird und auch bei jungen Fans Kultstatus genießt, gibt es einen regen Filmtourismus in die Region Wilder Kaiser und ihr Zentrum Ellmau. Die Übernachtungszahlen dort seien im Sommer 2014, nachdem die Bergdoktor-Staffeln Nummer sechs und sieben in 13 mal neunzig Minuten hintereinander ausgestrahlt wurden, um neun Prozent gegenüber dem bergdoktorlosen Vorjahressommer 2013 gestiegen, während im Tiroler Durchschnitt nur ein Prozent Zuwachs verzeichnet worden sei, sagt Lukas Krösslhuber, der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Wilder Kaiser.

Manche fassen sich als Gag ans Knie

Beim balkonumrankten Haus auf dem Hügel, das überall in Ellmau als „Bergdoktorhaus“ bestens ausgeschildert ist, stehen an Drehtagen während der Sommerferien auch mal dreihundert Fans hinter der Absperrung, erzählt Hans Sigl. In Drehpausen gibt er dann oft vor der Bergdoktor-Praxis Autogramme, nicht ungern, „abgesehen davon, dass ich es sowieso seltsam finde, von mir ein Autogramm zu wollen“, schreibt er auf seiner Homepage. Er ist bescheiden. Aber er macht mit: betreut die Bergdoktor-Facebookseite persönlich, steht bei den Bergdoktor-Fantreffen zweimal jährlich für Gespräche bereit, trifft öfters Menschen, die sich bei seinem Anblick als Gag ans Knie fassen, meistens ans linke. Hört sich Krankengeschichten von Zuschauern geduldig an.

Der Arzt im Fernsehen spreche eine Sehnsucht an, sagt Hans Sigl, „gerade in unserer Gesellschaft, wo sich Menschen manchmal verloren fühlen oder jemanden bräuchten, der ihnen zuhört. Und es ist bei Doktor Martin Gruber ausgeprägter als bei Doctor House, dass er das Gefühl vermittelt, dass man gehört wird.“

An einem kalten Dezembertag außerhalb der Ferien kommen nur ein paar Wanderer beim Dreh in der Bergdoktor-Praxis vorbei. Aber als anderntags fünfzig Kilometer westlich im Bezirkskrankenhaus Schwaz für die achte Bergdoktor-Staffel gedreht wird, suchen sich echte Patienten mit ihren Infusionsständern oder in Rollstühlen einen improvisierten Zuschauerplatz, um zu verfolgen, wie Dr. Martin Gruber (Hans Sigl) gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Alexander Kahnweiler (Mark Keller) die mit Theaterblut und Ruß auf schwer verletzt getrimmten Dauerstreiter Elisabeth Gruber (Monika Baumgartner) und Arthur Distelmeier (Martin Feifel) auf Tragen durch die Kliniklobby schieben.

Wie eine wiedervereinigte Rockband

Ruckzuck geht das vonstatten, im Laufschritt, Schnitt und gleich nochmal: „Du hast aus Arthur ne Frau gemacht! Du hast gesagt – ,bringt sie in den Schockraum!’“, erklärt der Regisseur dem besten Freund des Bergdoktors. „Nee, ich hab gesagt – ,bringt sie auf die Station’“, feixt der zurück. Woraufhin jemand aus dem Team lachend bemerkt, dass dieser Dr. Kahnweiler eben nie um eine Ausrede verlegen sei.

Es herrscht eine gute Stimmung am Bergdoktor-Set: Wenn Hans Sigl und Mark Keller in einer anderen Einstellung zwei konsternierte Ärzte spielen, die in der Krankenhauslobby über schwierige Entscheidungen brüten, dann lachen sie sich in den Pausen halb tot. Wer eine Weile am Set zusieht, der könnte meinen, hier arbeite eine Rockband nach ihrer glücklichen Wiedervereinigung freudig am neuen Werk. Improvisationslust inklusive.

Diesen Eindruck hat man auch vor dem Krankenhaus, während der Drehpause, in der Kälte: Hans Sigl muss schon rein, also bietet er sein Wohnmobil seinem Kollegen Martin Feifel an, der wild bandagiert auf seinen Einsatz als Schwerverletzter warten muss. „Der ist so gut, der Mann“, sagt Feifel und deutet auf Sigl. Aber da schwingt kein Sarkasmus mit – eher Wertschätzung.

Arthur, der Anipode zum guten Bergdoktor

Martin Feifel wurde vor vier Jahren angerufen und gefragt, „ob ich Lust hätte, einen Antipoden zum guten Bergdoktor zu spielen, weil sie gemerkt haben: Das ist einfach zu viel heile Welt, alles zu glatt.“ Feifels Figur, der Arthur, macht der Gruber-Familie das Leben schwer. „Aber ich bin überzeugt, dass der Arthur im Grunde seines Herzens ein ganz lieber Kerl ist, sonst würde ich ihn auch nicht wirklich gerne mögen“, sagt Feifel, der den Stinkstiefel verkörpert, der in der Beziehung zwischen seiner Tochter Anne und dem Bergdoktor dauernd dazwischenfunkt. Der Arthur wolle seine Tochter halt schützen, sagt Martin Feifel, denn der Bergdoktor, nun ja: „Er ist schon ein Schürzenjäger!“

Das treibt die Fans um – wie es in der achten Staffel weitergeht mit Anne und dem Bergdoktor, dem empathischen Retter, der vor sieben Jahren aus der großen weiten Welt in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist und seitdem vor grandioser Bergkulisse die Probleme seiner Patchworkfamilie und jene seiner Patienten gleichzeitig löst. Hans Sigl kann natürlich keine Details verraten, was das künftige Liebesleben seiner Figur betrifft. Aber er sagt: „Es bleibt so lange spannend, so lange unser Held auf der Suche ist. Wenn es so weit käme, dass die Hochzeit passiert und die Kinder da sind – dann sind wir bei ,Forsthaus Falkenau’. Dann ist dieser Film zu Ende, weil wir nicht mehr die Geschichte des Lonely Man in den Bergen erzählen können.“

Hoch in diesen Bergen über dem Dorf Söll liegt der Gruberhof, wo der Bergdoktor mit Mutter, Bruder und Tochter wohnt. Man verfährt sich leicht auf den kurvenreichen Sträßchen dorthin, die am Ende nicht mehr asphaltiert sind. An der Außenwand klettert Plastikefeu empor, was schwierig ist in Zeiten des HD-Fernsehens, und der Rundblick dort oben ist wunderschön. Ein seltenes Idyll. Aber Hans Sigl ist geübt darin, zu betonen, dass er und das Bergdoktor-Team eben keinen Kitsch produzieren: „Bei uns gibt es keine einzige Folge, wo man von einer heilen Welt sprechen könnte“, sagt er. Zuversicht, ja. „Zuversicht und Hoffnung“ bewirke die Serie beim Publikum.

Im Winterspecial flüchtet er nach Südtirol

Just diese Tugenden lässt der Bergdoktor im Winterspecial „Schuld“, das diesen Sonntagabend ausgestrahlt wird, vorübergehend fahren. Gleich in den ersten Minuten stirbt ihm eine Patientin unter den Händen weg, woraufhin er mit seinem Unvermögen hadernd in die Berge Südtirols flüchtet. Aber spätestens von 8. Januar an, wenn die regulären neuen Donnerstags-folgen beginnen, opfert sich der gute Mann aus Ellmau wieder für seine Mitmenschen auf. „Wir sind nicht aufgerufen, die Wahrheit in aller Härte abzubilden“, sagt ein aufgeräumter Hans Sigl in seinem Wohnmobil am Set, ehe er als Doktor Martin Gruber vor die Kamera tritt. Doktor Martin Gruber indes weiß gerade nicht weiter: „Die Fronten sind dermaßen verhärtet“, seufzt er. Das deutet auf Ärger hin. Und auf spannende Donnerstagabende bis Ende Februar.