Die Kandidatin um den Kommissionsvorsitz bekennt in Brüssel erstmals Farbe in der Europapolitik – und wirbt in den Fraktionen des Europaparlaments um Zustimmung.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - E

 

rstmals muss Ursula von der Leyen am Mittwoch Farbe bekennen. Die Kandidatin für den Chefposten der EU-Kommission geht in die Fraktionen, wo sie um Stimmen werben muss. 376 Stimmen braucht sie bei der für Dienstag angesetzten Wahl. Vor allem zielt sie auf die Unterstützung der vier proeuropäischen Fraktionen, also Christdemokraten, Sozialisten, Liberalen und Grünen. In jeweils zwei Stunden langen Sitzungen stand sie den Abgeordneten von Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen Rede und Antwort. Bei den Christdemokraten war sie bereits in der Vorwoche. Die Parlamentarier wollten wissen, wie das EU-Programm der Kandidatin aussieht.

Als sie am Abend erstmals kurz vor die Kameras tritt, nennt sie selbst drei Schwerpunkte ihres Programms. Sie will dem Parlament mehr Mitsprache geben. „Ich verspreche, dass ich jedes Thema auf die Tagesordnung der Kommission setze, wenn es dafür Mehrheiten im Parlament gibt.“ Damit verspricht sie dem Parlament das Legislativrecht, das das Europa-Parlament einfordert. Sie kündigt zum zweiten an: „Wir müssen ehrgeiziger beim Klimaschutz sein.“ Der Ausstoß von CO2 müsse einen Preis haben. Sie will den Emissionshandel ausweiten, eventuell auch Autoverkehr und Gebäude mit einbeziehen. Sie bekennt sich zum Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Außerdem werde sie für Mindestlöhne in jedem Mitgliedsland kämpfen.

Von der Leyen steht in einem sechs Stunden langen Kreuzverhör. Sie räumt in jeder Fraktion ein, dass sie als Kandidatin einen „holprigen Start“ beim Parlament hinlege. Sie weiß um die Wut darüber, dass die Staats- und Regierungschefs dem Parlament keinen Spitzenkandidaten der europäischen Parteienfamilien vorgeschlagen haben.

Die Kandidatin zeigt Ehrgeiz beim Klimaschutz

Am Abend ist sie bei den Grünen. Ein heikler Termin, weil die Fraktion nicht in das Personalpaket eingebunden ist. Die Grünen hatten sich dem Spitzenkandidaten verschworen. Fraktionschef Philippe Lambert frotzelt, weil von der Leyen einige Minuten verspätet kommt: „Das ist also aus den deutschen Tugenden der Pünktlichkeit geworden.“ Co-Fraktionschefin Ska Keller fragt, wie von der Leyen garantieren könne, dass es beim nächsten Mal Spitzenkandidaten geben werde. Von der Leyen räumt ein, dass dies nicht möglich sei, da ein derartiger Beschluss einstimmig getroffen werden müsse. Sie werde sich dafür im Rat einsetzen, es werde aber dauern.

Der Verkehrsexperte Bas Eickhout stößt sich daran, dass von der Leyen weniger ehrgeizig beim Klimaschutz sein will als das Europaparlament bereits in der letzten Wahlperiode. Sie räumt dies ein, verweist auf Widerstände in vielen Mitgliedsländern, unterstreicht aber die Notwendigkeit, mehr zu tun. Eickhout darauf kühl: „Sie verlangen also, dass die Grünen ihre Ziele mindern.“ Die Grünen nehmen von der Leyen hart ran. Am Abend dann erklären sie als erste der vier proeuropäischen Fraktionen, nicht für die Deutsche als Kommissionspräsidentin stimmen zu wollen. Keller sagt: „Wir haben von den Wählern das Mandat für einen Wechsel bekommen und sehen nicht, wie der Wechsel mit dieser Kandidatin möglich ist.“

Mittags ist sie bei den Liberalen. Im Minutentakt prasseln die Fragen auf sie ein. Erst fragt ein Ire, wie sie sicherstellen will, dass kleine Unternehmen in Irland besser an Kredite kommen, dann löchert er sie zur gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, bevor er zum Brexit kommt. Dann kommt ein Slowake, wie sie sich die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik vorstelle und was sie gegen russische Falschpropaganda tun will. Wenn die Frage zu detailliert ist, passt sie auch einmal. In der Sache bekennt sie aber Farbe. Sie tritt nicht mehr mit der Position der Bundesregierung auf – etwa bei der Gaspipeline Nord Stream 2 –, sondern hat die europäische Brille auf.

Die Liberalen sind irritiert

Gewisse Irritationen löst von der Leyen bei den Liberalen mit Aussagen zur Personalpolitik aus. Sie hatte betont, dass der Sozialdemokrat Frans Timmermans wie bisher den Posten des Ersten Stellvertretenden Vize-Kommissionschef haben könne. Die Liberale Margarethe Vestager stünde demnach als Kommissarin in der Hierarchie etwas darunter. Das wollen die Liberalen offenbar nicht hinnehmen.

Bei den Sozialdemokraten ging es insgesamt distanzierter zu. Jens Geier, Chef der 16 deutschen SPD-Abgeordneten, die ihre Wahl schon vor der Anhörung ausgeschlossen haben, sagte: „Ihre Aktien sind klar nicht gestiegen, sondern eher gefallen.“ Die Fraktionschefin Iratxe Garcia, stellte in Aussicht: „Die Fraktion wird jetzt diskutieren und versuchen, bis zur nächsten Woche zu einer gemeinsamen Position zu kommen.“