Samuel hat einen Krieg überlebt und das Mittelmeer gequert: Nun will er auf keinen Fall scheitern auf der letzten Etappe seiner Reise in die „Festung Europa“.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Calais - Samuel ist überzeugt, dass er es schaffen wird. „Ich habe einen Krieg überlebt, bin durch die Wüste gelaufen und habe das Mittelmeer überquert“, sagt der Mann aus Eritrea, „mir wurde alles genommen, ich wurde geschlagen und eingesperrt, da lasse ich mich so kurz vor dem Ende nicht aufhalten.“ Das Ziel seines langen und sehr gefährlichen Weges ist Großbritannien, wo seine Familie schon wohne. Wie die anderen Flüchtlinge auch, erhofft er sich auf der anderen Seite des Ärmelkanals bessere Asylchancen und Lebensbedingungen als in Frankreich.

 

Dafür nimmt Samuel ein menschenunwürdiges Dasein auf sich. Ein Blick auf die unhaltbaren Zustände in dem Camp lässt erahnen, wie groß die Verzweiflung sein muss, die diese Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben hat. Zusammen mit mehreren Tausend anderen Flüchtlingen haust Samuel seit mehreren Wochen am Stadtrand von Calais, in der Nähe des Fährhafens. Aus alten Latten und Plastikplanen haben sie sich zwischen den flachen Dünen notdürftig Zelte gezimmert. Bis auf zehn Dixi-Klos gibt es praktisch keine sanitären Anlagen. Überall liegt Müll umher. In der Luft liegt ein Geruch aus Urin und verbranntem Plastik.

Schon zehn Tote bei den Fluchtversuchen

„Ich war geschockt, als ich das erste Mal hier in das Lager kam“, sagt der Arzt Jean-François Patry. Die Organisation Medecins du Monde gibt den Flüchtlingen die notwendigste medizinische Hilfe. „Viele kommen am Morgen zu uns und lassen ihre Wunden versorgen, die sie sich bei den Fluchtversuchen in der Nacht zugezogen haben - vor allem tiefe Fleischwunden vom Stacheldraht, Verstauchungen und auch Knochenbrüche, wenn sie versuchen, von der Brücke vor dem Eurotunnel auf die fahrenden Züge zu springen.“ Seit Anfang Juni starben bereits zehn Flüchtlinge bei Unfällen auf der französischen Seite des Ärmelkanals.

Auch Samuel macht sich fast jede Nacht mit vielen Hundert anderen Flüchtlingen auf den rund zweistündigen Fußweg zum Eurotunnel. Zwischen den Büschen schleichen sie sich an die Gleise, immer auf der Hut vor den Polizisten, die auf der Lauer liegen. In Calais hat der Betreiber in diesem Jahr 37.000 Fluchtversuche gezählt. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden deshalb inzwischen drastisch erhöht: mehr Polizei, mehr Kameras, mehr Zäune.

Cameron setzt auf Abschreckung

Auch verbal wird aufgerüstet - allen voran der britische Premier David Cameron. Er hat härtere Maßnahmen angekündigt: Seine Regierung wolle mehr Geld für die Sicherheit am Eingang des Eurotunnels, schärfere Einwanderungsgesetze und setze auf Abschreckung, sagte er der BBC. Großbritannien werde illegal ins Land gekommene Migranten ausweisen, warnt der Regierungschef, „damit die Leute wissen, dass dies kein sicherer Hafen ist“.

Samuel und die anderen Flüchtlinge in Calais lassen sich von solchen Drohungen nicht einschüchtern. „Ich werde es versuchen, wieder und immer wieder, bis ich es geschafft habe“, sagt Samuel. Diese Hoffnung ist das letzte, was dem Mann aus Eritrea in seinem Leben geblieben ist. Dafür setzt er jede Nacht sein Leben aufs Spiel.