Das Hartplastik der Plattenspieler-Abdeckung zersplittert beim Aufkommen des Baseballschlägers in kleine Stücke. Eine 30 Zentimeter hohe Schafsfigur aus Ästen staubt, als immer wieder auf sie eingeschlagen wird. Die mintgrüne Styropor-Platte zerbricht krachend in vier Teile. Es dauert keine fünf Minuten, bis Plastiksplitter auf dem Hof um den Tisch verteilt liegen und die Wut der Erschöpfung weicht.
15 Minuten Fußweg entfernt vom Kornwestheimer Bahnhof liegt in einer Kurve ein 500 Jahre altes Bauernhaus, das früher ein Gasthaus war. Heute schwingen darin vorrangig junge Frauen Baseball-, Golfschläger oder Schürhaken und lassen ihrem Frust freien Lauf. Den Emotionen zum Opfer fallen Möbel, elektronische Geräte wie Fernseher, Bilderrahmen und Keramikgefäße. 50 Euro pro Person für das gesicherte Abreagieren im Rageroom. Kann das funktionieren? Andreas Graf von Brühl ist Auktionator. Jeden Tag räumt das Unternehmen Rümpelfirma Häuser aus, meistens handelt es sich dabei um Nachlässe. Die Ware kommt zehn Mal schneller rein, als von Brühl sie verkaufen kann. Jedes Teil landet entweder in seinem Auktionshaus in Stuttgart-West oder in einem seiner drei Lager. In dem ehemaligen Gasthaus in Kornwestheim lagern im Erdgeschoss Liebhaberstücke im Wert von 50 bis 60000 Euro – darunter ein Barocker Tabernakel Sekretär und eine Naumann Nähmaschine mit Fußantrieb, die um die 90 Jahre alt ist. Die Stücke verkauft von Brühl auf Ebay, Kunden können sie sich mit dem Zahlencode am Eingang selbst abholen. Ein Mitarbeiter lohnt sich nicht.
Liebhaberstücke und Sperrmüll unter einem Dach
Alles was von Brühl nicht verkauft, gespendet oder verschenkt bekommt, landet auf dem Hof oder auf dem Dachboden. Designermöbel von Vitra oder Knoll sind gefragt, Schmuck und Münzen sowieso, doch auf manchen Möbelstücken bleibt von Brühl sitzen, „die wollen die Menschen nicht einmal umsonst“, sagt er. In der Vergangenheit haben ihm Kunden seinen Preis schon so unterboten, dass er nicht einmal den Versand damit hätte bezahlen können. „Dann kann ich es auch kaputt schlagen“, dachte er sich damals. Oder besser: Es kaputt schlagen lassen. Ein Jahr ist das her.
Wenn der Schrei ins Kissen nicht reicht
Durch Bretter in den Fenstern fällt das Licht auf den Dachboden. Für den Mittag haben sich zwei Gruppen angemeldet, die ihren Junggesellenabschied feiern. Ein gepolsterter Stuhl, ein Fernseher und ein hüfthoher Bilderrahmen sind schon bereit gestellt. Von Brühl berichtet, dass er täglich 30 bis 50 Anfragen bekommen, für zehn bis 20 Gruppen im Monat ist Zeit. Der Rageroom hat nur samstags geöffnet. Teilweise fahren die Kundinnen und Kunden 300 Kilometer, um in Kornwestheim alles kurz und klein zu schlagen. In Baden-Württemberg gibt es nur noch in Karlsruhe und Lörrach einen Rageroom. Von Brühl plant, demnächst einen Weiteren in Stuttgart-Ost zu eröffnen.
Doch wer sind die Menschen, denen Joggen nicht reicht, kein Schrei ins Kissen oder in den leeren Wald? „Zu 90 Prozent Frauen“, sagt Florian Steiner. Der Sales Manager koordiniert die Termine und hilft am Wochenende mit, die Räume vorzubereiten. Die meisten Kundinnen seien Mitte 20, Anfang 30. Dabei geht es der Hälfte darum, einfach Spaß zu haben, die andere Hälfte bringe tatsächlich emotionalen Ballast mit, sagt Steiner. Viele würden beim Zerschlagen an ihre Ex-Partner und -Partnerinnen denken.
Kein Platz für die Wut der Frauen
Junggesellinnenabschied, Flucht vor dem Burnout, Scheidungsparty, Trauerbewältigung: Die Gründe, warum Frauen in den Rageroom kommen, sind vielfältig, doch sie berichten häufig das gleiche. Für ihre Wut ist im öffentlichen Raum kein Platz. Mehrere Studien aus den USA belegen, dass Frauen, die ihren Ärger zeigen, mit negativen Konsequenzen rechnen müssen und es schwerer haben, eingestellt zu werden. Victoria Brescoll und ihre Kollegen fanden außerdem heraus: Ärger wird bei Frauen eher auf die Persönlichkeit geschoben, bei Männern auf äußere Umstände. Schon allein das ist für viele ein Grund, Möbel zertrümmern zu wollen.
Für Andreas von Brühl ist der Rageroom kaum wirtschaftlich – schon allein der Container Holzabfall vor der Türe kostet ihn 300 Euro. „Ich mache das, weil es den Leuten Spaß macht“, sagt er. Umso ärgerlicher, dass Samstagnachmittag keine der beiden Gruppen aufgetaucht ist. Negativpremiere für Andreas von Brühl und Florian Steiner, an gut besuchten Wochenenden sind bis zu 36 Menschen am Werk. Also muss die Autorin ran. Die Regeln – kein Alkohol, keine Drogen, keine Gewalt gegen andere, bei einer Gruppe alle nacheinander – sind schnell abgehakt. Sicherheitsbrille auf, Helm auf.
Wenn es laut wird, macht es am meisten Spaß
Der erste Schlag ist zaghaft. Kindern wird beigebracht, den Teller auf dem Weg zum Esstisch nicht runterfallen zu lassen, in der Nähe des teuren Fernsehers nicht zu spielen. Das wirkt nach. Doch wenn die Hemmungen fallen, gibt es kein Halten mehr. Unter dem zweiten Schlag fängt der Fernsehbildschirm an zu splittern, bevor er zu Boden kippt. Krrrkk. Wenn es kracht und knirscht und man dazu noch schreien darf, ist das Befreiungsgefühl besonders groß. Im Hof warten weitere Gegenstände. Der Begriff zerstörerische Wut war nie passender.