Besucher-Knigge für Theater, Oper und Kino Die elf nervigsten Nebensitzer

Das Mobiltelefon im Theater benützen – auch wenn die Vorstellung langweilig ist: nicht die feine Art. Foto: Adobe Stock

Nicht nur schlechte Sänger, nuschelnde Schauspieler und falsch fiedelnde Musiker können einem den Abend im Theater, in der Oper oder im Kino vermiesen, sondern auch die Nebensitzer. Denn überall lauern einem nervtötende Menschen auf. Welche? Eine Typologie.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Stuttgart - Ein beliebiger Abend in einem Kino, Opern- oder Theatersaal kann auch einen ohnehin schon misanthropischen Menschen in die endgültige Verzweiflung treiben. Besonders diese Typen:

 

1. Die Ahnungslosen

Man muss nicht die Partitur mit in die Wagner-Oper bringen und im Geiste jede Note mitsingen oder Reclams Shakespeare auf dem Schoß liegen haben, um zu prüfen, ob texttreu genug gespielt wird. Aber wissen, was gespielt wird und – sofern nötig – die Hörhilfe dabei haben, wäre schon mal hilfreich. Oft genug aber sitzt Herr oder Frau Ahnungslos neben oder hinter einem und fragt: „Du, was wird heute eigentlich gespielt?“ oder auch „Kirschgarten? Ist das ein Ökostück? Von wem ist das noch mal?“ Weil, bis der Vorhang sich hebt, nicht die ganze Geschichte referiert werden kann, bombardieren sich Herr oder Frau A. während der Vorstellung – gern an Stellen, in denen leise oder gar nicht gesprochen wird – lautstark mit Fragen, was sich gerade auf der Bühne tut. „Sag mal, Helga, warum verkauft die nicht einfach den Garten?“ oder „Herbert, was hat die Dicke vorne rechts da gerade gesagt?“

2. Die Besserwisser

Schlimm wird’s, wenn der Ahnungslose mit dem Gesprächigen anrückt, dann wird ausführlich vor und während der Vorstellung aus dem Programmheft oder dem Gedächtnis referiert und während des Films, des Stücks, der Oper jede noch so leicht ambivalente Szene interpretiert – in einer Lautstärke, als müssten die umliegenden fünf bis zehn Reihen auf jeden Fall von dem Wissen des Besserwissers profitieren.

3. Die Vorbeuger

Manche Menschen haben nicht das, was der Volksmund Sitzfleisch nennt. Auch im Theater fällt es ihnen schwer, länger als eine Viertelstunde still zu sitzen. Vielleicht haben sie auch ihre Brille oder ihr Hörgerät vergessen. Jedenfalls beugen sie sich dauernd vor, hauchen dem Vordermenschen in den Nacken und versperren ihrem Hintermenschen die Sicht, weil der dann nur noch den Rücken und nicht mehr das Bühnengeschehen sieht.

4. Die Daddler

Noch ein Klassiker: All der freundlichen Durchsagen à la „Bitte schalten Sie Ihre Mobiltelefone während der Vorstellung aus!“ zum Trotz – wenn Jago gerade darauf lauert, dass Othello auf seinen Trick mit Desdemonas Taschentuch hereinfällt, ertönt irgendwo ein Biiiieeeep, Brummmm oder Klingeling. Oder irgendwo geht wieder ein Licht auf dem Bildschirm des Smartphones an, weil man unbedingt noch eine wichtige Nachricht senden oder dringend die Mails checken muss.

5. Die Verliebten

Wunderbar, wenn man sich als zweites oder drittes Date einen „schönen Abend“ gönnt und gemeinsam „Tosca“, „Faust“ oder „Schwanensee“ anschaut. Dann aber bitte: vorherige Triebabfuhr! Oder zumindest ein geräuschloses Stöffchen anziehen. Der Nebensitzer hört nämlich nur noch das Raschelraschel des rauhen Stoffs, wenn der oder die Verliebte ohne Unterlass den Oberschenkel des anderen streichelt, als müsse eine zerknitterte Zeitung geglättet werden.

6. Die Olfaktorischen

Manche Zuschauer finden, Körperhygiene sei überbewertet, das verschwitzte T-Shirt der letzten Joggingrunde tut’s noch für den Theaterbesuch. Andere lieben es, Zwiebeln vor einer Vorstellung zu verspeisen und atmen müffelnd dem Vordermann in den Nacken. Wieder andere sind in ein Parfümfläschchen gefallen. So oder so: Auch wer nicht gerade verschnupft ist, sollte stets ein Stofftuch zur Hand haben.

7. Die Schauspieler

Meiden Sie Schauspieler als Nebensitzer. Sie spielen auch als Zuschauer den Enthusiasmierten – überlautes Lachen – oder den Insider: überlautes Lachen an Stellen, an denen sonst keiner lacht. Manchmal sind sie auch einfach nur nervös und kratzen sich alle drei Minuten den Bart, was sehr laut klingt, wenn es wenige Zentimeter vor Ihrem Ohr stattfindet. Manchmal streichen sich solche Sitznachbarn auch umständlich das Haar aus der Stirn, weil sie es kaum aushalten können, nicht selbst auf der Bühne zu stehen.

8. Die Hungrigen und die Durstigen

Tod durch Dehydrierung tritt frühestens nach mehren Tagen ein. Essensentzug hält man noch länger aus. Und länger als zwei Stunden wird man selten mit einer Kunstdarbietung behelligt. Leicht wäre es möglich, vor oder nach einer Vorstellung etwas zu essen oder zu trinken, dann müsste man nicht laut krachend in Nachos beißen, wenn gerade Leonardo DiCaprio als Romeo die schöne Claire Danes als Julia bebuhlt. Und dann würde nicht garantiert eine Minute später die Flasche herumkullern, die man mit in den Saal genommen, auf den Boden gestellt und beim Beine übereinander schlagen umgeworfen hat. Selbstredend passiert das nicht während eines Säbelrasselns oder eines Tuschs.

9. Die Barbekanntschaften

Toll auch, dass die Trinkflaschen-Tölpel in der Pause garantiert vor einem in der Schlange stehen und erst dann, wenn sie an der Reihe sind, beraten, was sie selbst und ihre Begleitung trinken wollen. Wenn sie nun auch noch vom überforderten, offenbar kurzfristig angeheuertem Dienstpersonal missverstanden werden, ziehen Sie Ihre Lehre daraus: das nächste langwierige Kulturereignis nur noch mit TTF – Theatertrinkfläschchen – in der Tasche.

10. Die Sitzenbleiber und die Lahmen

Es ist wie an der Kasse im Supermarkt: Immer befindet sich in der Reihe, in der man selbst Platz genommen hat, die Person, die noch ewig sitzen bleibt. Sie ist zu ergriffen oder zu cool oder zu individuell, um sich nach Buh oder Applaus zu erheben und einen durchmarschieren zu lassen. Und sollte es sich, geistesverwandt, um eine Person des öffentlichen Interesses in einer mittelkleinen Stadt handeln, hält sie auf der Treppe stehend Hof und verkündet ihre Einschätzung zum Gebotenen.

11. Die Röchler

Wochenlang hat man sich auf das Klavierkonzert X oder das Theaterstück Y gefreut und teure Karten gekauft. Die kann man – nicht nur in Schwaben – nicht verfallen lassen! Ist doch egal, ob man die anderen tausend Zuschauer ansteckt! Also wird pünktlich nach zehn, spätestens fünfzehn Minuten ungeniert genießt, geschnupft, gehustet. Natürlich nicht nur in den Pausen, sondern beim Pianissimo oder wenn Romeo und Julia gerade den ersten innigen Kuss austauschen. Nächste Amtshandlung nach dem Röcheln: Um Rücksicht und Achtsamkeit zu demonstrieren das besonders langsame Auswickeln des Hustenbonbon aus dem Knisterpapier, das sich erst nach minutenlangem Kruschteln in der Handtasche finden ließ. Könnte man nicht schon eine ausgewickelte Hustenpastille im Händchen halten und dezent einwerfen, wenn es im Hals juckt? Könnte man. Aber dann würde keiner merken, wie sehr man für die Kunst zu leiden bereit ist. Das Einzige, woran der enervierte Nebensitzer jetzt noch denkt, ist ein Satz von Blaise Pascal: „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.“

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