Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt widmet sich dem brutalistischen Bauen der Nachkriegszeit. Motto: „Rettet die Betonmonster“.

Frankfurt am Main - Es beginnt mit einer Sprengung: Ein Großfoto hält den Moment fest, in dem der 116 Meter hohe AfE-Turm, ein Hochhaus der Frankfurter Universität, in einer riesigen Staubwolke in sich zusammensackte. Das war am 2. Februar 2014. Abgerissen wurden damals auch das Technische Rathaus neben dem Frankfurter Kaiserdom, das der wiedergeborenen Altstadt Platz machen musste, und das ebenfalls einem Neubau gewichene Historische Museum der Stadt. Einen aktuellen Fall vermeldet die „Bauwelt“ aus Indien, wo im vergangenen Sommer die Hall of Industries und die Hall of Nations in Neu-Delhi, zwei herausragende Zeugnisse der architektonischen Moderne des Landes, von der Bildfläche verschwanden. Den regierenden Hindu-Nationalisten galten sie als „unindisch“. Aber ob West oder Ost – alle Bauten eint, dass sie einer Epoche angehörten, die als Brutalismus in die Baugeschichtsbücher eingegangen und nun vom Aussterben bedroht ist. „SOS Brutalismus“ funkt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt darum mit der Ausstellung, die erstmals einen Überblick über brutalistische Bauten in aller Welt präsentiert und diesen zugleich mit einem Aufruf verbindet: „Rettet die Betonmonster!“

 

Wie Dinosaurier aus einem fernen erdgeschichtlichen Zeitalter ragen sie herüber in unsere wärmegedämmte, natursteintapezierte, hinterlüftete Gegenwart, zu groß und zu schwerfällig, um als Spezies auf Dauer zu überleben. Geliebt wurden sie ohnehin nicht. Im Gegenteil, zu vermuten steht, dass die verbreitete Ablehnung der Architekturmoderne viel mit den grauen Dickhäutern zu tun hat, die auch den Sichtbeton zum Synonym einer lebensfeindlichen Umwelt machten. So ist es kein Zufall, dass Alexander Mitscherlich gerade in den sechziger Jahren die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ beklagte, als der Brutalismus seinem Höhepunkt zustrebte, und nicht von ungefähr kamen später in der Popmusik Bandnamen wie Einstürzende Neubauten auf. Das Etikett, das dieser architektonischen Kraftmeierei verpasst wurde, scheint die Kritik an den unangenehmen Seiten des Baustils ja auch schon in sich zu tragen: Im Brutalismus steckt unübersehbar das Adjektiv brutal, und als brutal wurden die monumentalen Sichtbetonbauten gerade auch in Deutschland empfunden, wo man nach dem Kolossalklassizismus nationalsozialistischer Machart besonders zart besaitet war – andererseits aber auch sehr empfänglich für die neue Brachialarchitektur. Platz boten ihr die kriegszerstörten Städte jedenfalls genug.

Der propagandistische Impuls kam aus Stuttgart

Oliver Elser, der Kurator der Ausstellung, stellt dem Rundgang darum erst einmal eine Begriffsklärung voran: Brutalismus kommt nicht von „brutal“, sondern von „béton brut“, der französischen Bezeichnung für Sichtbeton. Erfunden wurde er von den englischen Architekten Alison und Peter Smithson, die ihn erstmals 1953 auf ihre Schule in Hunstanton münzten, aber noch gar nicht im Zusammenhang mit Beton, sondern als Etikett für eine Bauweise, die alle Bauelemente bis hin zu den Installationen „roh“, also ohne jede Verkleidung, zum Einsatz brachte. Einen Bedeutungswandel erfuhr der Brutalismus dann durch Le Corbusier, der mit betont groben, sichtbaren Betonoberflächen experimentierte wie etwa im indischen Chandigarh und damit weltweit Schule machte.

Propagandistisch wurde diesem neuen Bauen maßgeblich von Stuttgart aus der Weg bereitet: Jürgen Joedicke, Architekturtheoretiker und Gründer des Instituts für Grundlagen moderner Architektur an der Stuttgarter Universität, veröffentlichte als Herausgeber des Buchs „Brutalismus in der Architektur“ die Bibel der Bewegung. Gleichzeitig auf Deutsch und Englisch erschienen, brachte die Schrift des britischen Architekturkritikers Reyner Banham den Brutalismus als Gegenmodell zur Stahl-Glas-Architektur Mies van der Rohes auf eine internationale Flugbahn. Schluss mit allem Kompromisslerischen, Glatten, Leichten, lautete die Devise. Dieser Heroismus machte aus dem Lasten und Tragen eine Schau der Schwergewichte, gefeiert wurde die nackte, ungeschönte Konstruktion, das Massige, das Material. „Brutalismus bedeutet Ursprünglichkeit“, erklärte Joedicke, den der Katalog als „Werbetexter“ der Betonklotz-Ästhetik bezeichnet.