Auf den ersten Blick gleicht die Wohngruppe an der Hohenheimer Straße einer ganz normalen Wohngemeinschaft. Tatsächlich leben dort Straffällige und ehemalige Häftlinge, die von Sozialarbeitern betreut werden. Letztere verstehen das Betreuungsangebot als Opferschutz.

Digital Desk: Lena Hummel (len)

Stuttgart - Wegen Körperverletzung saß Dominik für 13 Monate im Knast. Zwei Male zuvor war er mit einer Bewährungsstrafe davon gekommen. „Beim dritten Mal hat der Richter gesagt, das machen wir nicht mehr“, erzählt der Ex-Häftling – eine Entscheidung, die offenbar das Beste war, was dem 32-Jährigen passieren konnte. Nach seiner Freilassung ist er in eine Wohngruppe von Prävent Sozial gezogen. Prävent Sozial ist eine hundertprozentige Tochter des Bewährungshilfevereins Stuttgart. 2018 feiert das betreute Wohnen 40-jähriges Bestehen.

 

Dominik ist durch seine Bewährungshelferin auf das Angebot aufmerksam geworden und hat sich aus einem einfachen Grund für ein Leben in der Wohngruppe entschieden: „Ich wollte einfach nicht so weitermachen wie vorher.“ Früher habe er sich oft aus Frust „volllaufen lassen“ und sich geprügelt. Alkohol ist in der Wohngruppe zwar erlaubt, schließlich „sind wir keine Clean-WG, man muss hier nicht trocken sein“, erklärt Christopher Koch, betreuender Sozialarbeiter der Wohngruppe Stadtmitte an der Hohenheimer Straße. Es gebe aber durchaus Regeln. Wer sich nicht daran halte, fliege raus.

Ausbildung im Kaufhaus Bad Cannstatt

Dominik lebt inzwischen seit zweieinhalb Jahren in der Wohngruppe. Sein Leben ist strukturierter; weiß er nicht weiter, helfen ihm die Ansprechpartner vor Ort – beim „Papierkram“, der Schuldensichtung, der Stellen- und Wohnungssuche. Erst kürzlich hat er ein Praktikum in einem Kaufhaus in Bad Cannstatt absolviert. Zwei Wochen hat es gedauert, bald beginnt er dort eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. „Speziell für das Thema Arbeit haben wir das Angebot INSA, also Integration Straffälliger in Arbeit“, erklärt Sabine Kubinski, Pressereferentin bei Prävent Sozial. Auch Dominik ist über INSA an sein Praktikum gekommen.

Bei komplexen Schulden hilft wiederum die zentrale Schuldnerberatung von Prävent Sozial. „Sind die Schulden aber überschaubar, kann man das über die Wohngruppe mitorganisieren“, so Kubinski. Schließlich sei das betreute Wohnen eine „ganzheitliche Hilfe“. Abseits der Hilfsangebote ist das Leben in der Wohngruppe nicht viel anders als in einer normalen Wohngemeinschaft: Jeder hat sein Zimmer; Wohnzimmer, Küche, Bad und Toilette werden gemeinsam genutzt.

Der Hilfebedarf muss gegeben sein

Für Sauberkeit in den Gemeinschaftsräumen sorgt ein Putzplan, für das eigene Zimmer ist jeder Bewohner selbst verantwortlich. „Das Zusammenleben klappt ganz gut“, sagt Dominik. Man trete sich gegenseitig nicht auf die Füße, verbringe Zeit miteinander. Neun Zimmer gibt es in der Wohngruppe an der Hohenheimer Straße, in der Dominik lebt. Fünf in einer, vier in einer weiteren Wohnung. Das Büro der betreuenden Sozialarbeiter liegt außerhalb der Wohnungen und ist von montags bis freitags zu den regulären Bürozeiten besetzt. „Schließlich sind wir eine ambulante und keine stationäre Betreuung“, erklärt Kubinski. Weitere Wohngruppen gibt es in Stuttgart-Stammheim, Echterdingen, Esslingen und Waiblingen.

Roland Hoppe (l.) und Christopher Koch Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Um in der Wohngruppe aufgenommen zu werden, muss der Hilfebedarf gegeben sein. „Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Menschen Gewalterfahrungen gemacht haben, seelische Probleme haben, straffällig geworden sind oder Suchtprobleme haben“, erklärt Koch. Das sei alles in Paragraf 67 des Sozialgesetzbuches geregelt. „Bei unseren Bewohnern ist oft die Herkunftsfamilie schon nicht ganz in Ordnung. Die meisten haben keinen Wohnsitz, kommen aus der Haft, die Eltern nehmen sie nicht auf und die Partner wollen keinen Kontakt mehr.“

Der Großteil bleibt anschließend straffrei

Im Durchschnitt bleiben die Menschen zwei bis drei Jahre in der Wohngruppe. Dominik plant, bald in seine eigene Wohnung zu ziehen. Das Ende das Betreuungsverhältnisses bedeutet das trotzdem nicht. „Die Betreuung geht in der eigenen Wohnung genauso weiter“, sagt Roland Hoppe, Verbundleiter des betreuten Wohnens Stuttgart. Dadurch solle sichergestellt werden, dass die Menschen dort ankommen, wo sie hinwollen – nämlich in einem straffreien Leben abseits des Arbeitslosengelds. „Ziel unserer Arbeit ist es, dass die Leute uns da draußen irgendwann nicht mehr brauchen“, so Hoppe. Oft gelingt das: „Meine subjektive Erfahrung ist, dass der größte Teil es schafft, nicht wieder straffällig zu werden.“

Vincent wird schon immer in seiner eigenen Wohnung betreut, in einer Wohngruppe hat er nie gelebt. Zu Prävent Sozial kam er wegen seiner Schulden. „Ich habe hauptsächlich Probleme mit Papier, ich mache meinen Briefkasten nicht auf“, erzählt der 41-Jährige. Das sei über mehrere Jahre so gegangen, irgendwann seien die Schulden gekommen. „Eigentlich bin ich schon mit 17 oder 18 Jahren in diese Schuldengeschichte reingerutscht. Das hat mit dem Handy angefangen, man hat zu viel telefoniert und seine Rechnung nicht bezahlt“, so Vincent weiter.

Die Arbeit mit Straffälligen stößt auf Unverständnis

Als er seine Schulden nicht mehr ignorieren konnte, suchte er sich Hilfe bei einer Schuldnerberaterin, die ihm Hoppe und das betreute Wohnen von Prävent Sozial empfohlen hat. „Das war etwa vor zweieinhalb Jahren“, sagt Vincent. Seitdem ruft Hoppe regelmäßig an und erinnert an den Gang zum Briefkasten. Besteht Bedarf, setzen sich die beiden zusammen und arbeiten die Post durch. „Schulden lösen ja auch etwas aus. In Vincents Fall war es eine Räumungsklage, Mietrückstände und Rückstände bei EnBW“, so Hoppe. Für alles fanden die beiden eine Lösung.

Die Arbeit mit Kriminellen stößt nicht bei allen auf Verständnis. Das weiß Sabine Kubinski aus eigener Erfahrung: „Wir werden oft gefragt, warum wird Straffällige unterstützen.“ Dabei hat das betreute Wohnen zwei zentrale Vorteile. Einerseits „kostet ein Hafttag pro Inhaftiertem 120 Euro“, so Kubinski. Für das Leben in der betreuten Wohngruppe fallen laut Hoppe dagegen nur ein Drittel der Kosten an. „Und hier ist ein persönlicher Ansprechpartner über mehrere Jahre dabei.“

Anderseits findet Kubinski zwar, dass Bestrafung wichtig ist, sie argumentiert aber auch, dass Bestrafung alleine immer nur die Symptome von Straffälligkeit und nicht die Ursachen bekämpft. „Und wir folgen hier halt dem Ansatz, Täterarbeit ist Opferschutz.“ Auch Hoppe bekräftigt: „Wir begreifen das als Opferschutz, wenn wir mit Straftätern arbeiten, die nicht mehr so weiter machen wollen wie vorher.“