Kann eine Mutter mit geistiger Behinderung ein Kind erziehen? Frau F. kann es. Mit ein wenig Unterstützung und in einer ambulant betreuten Wohnung.

Stuttgart - Im Frühling vor zwei Jahren ist der Sohn von Frau F. zur Welt gekommen. Ein freundliches Baby mit Pausbacken zum Knuddeln. Die Mutter lebt seither, weil sie geistig leicht behindert ist, in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Insbesondere zum Schutz des Kindes. Was ihr dort fehlt, ist ihre Autonomie.

 

„Ich habe halt Schwierigkeiten mit dem Rechnen und Schreiben“, sagt Frau F. über sich selbst. In einer Förderschule sei sie gewesen, aber auch dort habe man ihr das nicht beibringen können. Sobald Formulare auszufüllen sind oder Behördenbriefe eintreffen, braucht die Mutter Hilfe: „Die lasse ich mir vorlesen und erklären“, sagt die 32-Jährige.

Kind ist ohne Behinderung geboren

Frau F. hat, wie andere auch, das Bedürfnis nach Liebe, Nähe, Partnerschaft. Natürlich sei Sexualität auch bei Menschen mit einer Behinderung ein Thema. „Je nach Typ mal mehr, mal weniger“, sagt Isolde Vogt. Sie ist Wohnbereichsleiterin im Behindertenzentrum Stuttgart, eine der großen Behinderteneinrichtungen in Stuttgart. Jahrelange Erfahrung im Umgang mit Erwachsenen mit geistiger Einschränkung lehrt sie: Wie in anderen Kreisen auch wollten die jungen Leute eben einen Freund, eine Freundin. „Das ist total normal“, sagt Isolde Vogt.

Voller Stolz erzählt Frau F. von ihrem Sohn, der inzwischen eine Kita besucht. Auf vielen Bildern ist ihre innige Beziehung zu dem Kleinen zu sehen. Wie sie ihn beim Spielen beobachtet, wie sie ihn herzt. „Zum Glück hat er unsere Behinderung nicht geerbt“, sagt Frau F. Denn auch der Vater des Kindes sei geistig eingeschränkt.

Zur Entbindung mit der Schwester

Ihren Freund hat sie in einer Werkstatt für Behinderte kennengelernt. Der junge Mann ist acht Jahre jünger als Frau F. und lebt bei seinen Eltern. Die Schwangerschaft kam unerwartet: „Am Anfang war’s ein Schock. Aber dann haben wir uns doch für das Kind entschieden“, sagt Frau F. Seinen Eltern habe das gar nicht gefallen, erzählt sie. Diese hätten einen Vaterschaftstest verlangt. Unter diesen Voraussetzungen ist die Geburtsvorbereitung anders als gewünscht gelaufen: „Ich hatte Angst davor und wusste nicht, wer bei mir sein würde“, sagt Frau F., „aber dann ging meine Schwester mit mir ins Krankenhaus.“

Meist haben Mütter geistig behinderter Töchter ein Auge auf die Verhütung. Das ist auch in Wohnheimen der Behindertenhilfe so. Daher ist Frau F. mit ihrem Baby eher eine Ausnahme. „Eltern haben oft Sorge, dass ihr Kind überfordert sein könnte und sie ein Enkelkind eventuell übernehmen müssten“, sagt Dr. Marion Janke von der Familien- und Sexualberatungsstelle Pro Familia. In der Folge werde in vielen Fällen „überverhütet mit Dreimonatsspritzen, mit einer viel zu hohen Hormondosis“. Das Recht auf Kinderwunsch „wird bei Behinderten oft totgeschwiegen und so verhindert“, sagt Marion Janke. Umgekehrt stecke hinter manchem Kinderwunsch lediglich der Wunsch nach einem autonomen Leben oder einer Partnerschaft. „Das wird viel zu wenig hinterfragt“, sagt die Ärztin und Geschäftsführerin von Pro Familia.

Wohnung und Erziehungshilfe unter einem Dach

Die Mutter-Kind-Einrichtung, in der Frau F. mit ihrem Sohn derzeit lebt, ist nur eine Lösung auf Zeit. In Aalen gibt es eine stationäre Einrichtung, die einzige in Baden-Württemberg für Mütter mit einer geistigen Behinderung. Wenn Frau F. den Umzug dorthin ablehnt, müsste sie ihr Kind zur Adoption freigeben oder in eine Pflegefamilie geben, fürchtet Frau F. Aber sie möchte nah bei Vater und Schwester bleiben und ihren Sohn behalten.

Die Caritas baut für Mütter wie Frau F. derzeit ein Wohnhaus in Feuerbach. Dort können sieben behinderte erwachsene Mieter einziehen. Sieben weitere 2,5-Zimmer-Wohnungen sind vorgesehen für behinderte Mütter mit Kind. „In dem neuen Haus werden von Sommer 2018 an täglich Mitarbeiter sein, die man bei Bedarf um Hilfe anfragen kann“, sagt die Projektleiterin Gabriele Philipp. Der Vater des Kindes zieht übrigens nicht mit ein: „Den muss man morgens noch wecken“, sagt Frau F. „Bevor er das nicht selber hinkriegt, darf er nicht einziehen. Ich habe genug mit mir und mit dem Kleinen zu tun.“

Bedenken wegen der Schulzeit

Gabriele Philipp meint: „Frau F. kann sehr vieles sehr gut allein. Bei amtlichen Sachen oder bei Fragen und Problemen rund ums Kind sind wir im Haus präsent.“ Vor der Schulzeit ihres Sohnes fürchtet sich die Mutter ein wenig. „Ich werde dem Kind nicht helfen bei den Hausaufgaben helfen können“, glaubt sie. Sie würde gern einen Lese- und Schreibkurs machen, „aber das kostet 35 Euro, und ich habe doch nur 150 Euro Taschengeld für mich und meinen Sohn pro Monat.“ Bis auf weiteres helfe ihr ihre Freundin beim Lesenlernen.