Handwerk in der Krise Warum immer mehr Betriebe aufgeben müssen

Auch Metzgereien haben mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Foto: imago//Christian Vorhofer

Eine Umfrage vom Zentralverband des Deutschen Handwerks zeigt die prekäre Lage vieler Betriebe auch im Südwesten. Fast täglich geben Firmen auf – wie jetzt zum Beispiel eine traditionsreiche Metzgerei auf der Schwäbischen Alb.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

In Rosenfeld bei Balingen geht bald eine 93-jährige Tradition in dritter Generation vorüber: „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, sagen Marion und Kurt Gühring, Inhaber einer Metzgerei, die jüngst ihren Mitarbeitern und Stammkunden mitgeteilt haben, dass der Betrieb Ende November geschlossen wird. Es sind viele Faktoren, die sie dazu veranlasst haben, doch die aktuelle Krise hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

 

„Uns laufen die Kosten davon“, sagt Marion Gühring. „Die Großen werden unterstützt, doch das Handwerk ist außen vor.“ Beispiel Energie: Im Juli betrug allein die Stromrechnung noch 5240 Euro. Im August fielen bereits – wegen der Betriebsferien für lediglich elf Tage – 4700 Euro an. Und im September blüht eine Rechnung von mehr als 10 000 Euro. „Das können wir – wie auch die Personalkostensteigerungen – nicht auf unsere Ware umlegen“, sagt sie. „Im Moment sind wir froh, die Schließung schon vor einiger Zeit beschlossen zu haben.“

Was in Rosenfeld im Kleinen passiert, spiegelt sich auch in einer aktuellen Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Gerade für Baden-Württemberg zeigt sich eine „dramatische Lage, die deutlich schlimmer ist als in der Pandemie“, wie Peter Haas, Hauptgeschäftsführer des Handwerkstags, unserer Zeitung sagt. Der ganze Optimismus von Anfang 2022, nach der Coronazeit durchstarten zu können, habe sich ins Gegenteil gedreht. „Wir hören von Unternehmern und Vertretern der Handwerksorganisationen, dass sie eine solche wirtschaftliche Gesamtsituation noch nie erlebt hätten.“ Demzufolge „ist es nicht fünf vor zwölf, sondern es ist schon zwölf“.

Gut 60 Prozent von Umsatzausfällen betroffen

Der Umfrage zufolge ist eine deutliche Mehrheit von gut 60 Prozent der Handwerksbetriebe in Baden-Württemberg von Umsatzausfällen betroffen, die direkt oder indirekt auf den Ukraine-Krieg zurückzuführen sind. Im Mittel seien etwa 17 Prozent des erwarteten Umsatzes in diesem Kalenderjahr verloren gegangen, heißt es. Als Gründe werden eine Kaufzurückhaltung der Konsumenten, Auftragsstornierungen infolge gestiegener Beschaffungs- und Energiekosten sowie Einschränkungen bei der Produktion infolge gestiegener Beschaffungs- und Energiepreise genannt.

Fast neun von zehn Betrieben leiden unter gestörten Lieferketten und stark gestiegenen Beschaffungspreisen. In der Folge seien bestehende Aufträge für sie unwirtschaftlich, es komme zu Verzögerungen bei der Erfüllung von Aufträgen oder gar zu Stornierungen aufgrund von Materialengpässen. Gemeint sind vor allem Elektronik-Komponenten und Metalle sowie Kunststoffe und Energieträger.

Quälende Suche nach einem Energieversorger

91 Prozent der Handwerksbetriebe berichten von einem Anstieg ihrer Energiekosten seit Jahresbeginn, der im Schnitt 70 Prozent ausmacht – in den Branchen Kraftfahrzeug und Nahrung hätten sich die Energiekosten sogar verdoppelt. Dazu beigetragen habe, dass drei Viertel der Versorgungsunternehmen bereits die Bezugspreise für Strom und Erdgas erhöht oder Erhöhungen angekündigt hätten – zehn Prozent hätten sogar Verträge gekündigt. „Wir hören von Firmen, die keine neuen Verträge mehr bekommen und von Pontius zu Pilatus laufen, um einen Versorger zu finden“, sagt Haas. Lediglich drei Prozent der Betriebe können laut der Umfrage ihre gestiegenen Kosten direkt und umfassend an ihre Abnehmer weitergeben und 30 Prozent gar nicht.

Fast jeder fünfte Betrieb hat Liquiditätsnöte. Somit wird der Staat in die Pflicht gerufen. Von Hilfsprogrammen sei nichts zu sehen, „und bezüglich der vom Bundeswirtschaftsminister zugesagten Öffnung für Energiekostendämpfungsprogramme oder zum Schutzschirm kennen wir noch keine Bedingungen“, sagt Haas. „Die Zahlen werden täglich dramatischer, aber es gibt keine Planbarkeit für die Betriebe, weil die Politik Geduld walten lässt – offenbar hat sie die Dramatik immer noch nicht erkannt.“

Darlehen würden in so einer Lage schon gar nichts mehr bringen, weil sie nach Jahren im Minus zurückgezahlt werden müssten, befinden die Metzgerei-Inhaber Gühring aus Rosenfeld. „Die Rahmenbedingungen werden immer schlechter“, sagt Kurt Gühring auch mit Blick auf die Lohnkosten, die Dokumentationspflichten und teure Bürokratie. Von 28 Mitarbeitern sind ohnehin nur noch 15 übrig geblieben, weil der Partyservice in der Pandemie dicht gemacht werden musste. Eine Coronahilfe vom Staat gab es nicht.

„An jeder Ecke werden die Schrauben angezogen, und die Politik klopft sich auf die Schultern, was sie alles gemacht hat“, grollt er. „Doch der Unternehmer muss es bezahlen.“ Ob Bäcker oder Metzger – es treffe alle. Allgemeiner Tenor im Kollegenkreis sei, dass das Unternehmertum eine Sackgasse sei. „Ich glaube, dass noch viele aufhören werden, weil sie so sauer sind über die ganze Situation, wie sie sich entwickelt hat.“ Und bitter fügt er hinzu: „Wir haben das Gefühl, da rollt eine Welle an – und keiner merkt’s.“

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