Vom Gipfel des Feldbergs aus ist der Schwarzwald herrlich – doch Bevölkerungsschwund und fehlende Infrastruktur machen den Bewohnern mitunter zu schaffen. Nun wird über mögliche Zukunftsperspektiven diskutiert.
Breitnau - Wie kann sich der „ländliche Raum“ unter dem Druck des Bevölkerungsrückgangs entwickeln? Hat er eine Zukunft oder gehen die Lichter in den Dörfern aus, weil Schulen, Arztpraxen und Läden schließen, Straßen verlottern und die Menschen in die Städte ziehen? Das Thema „Zukunftsfähige Gemeinden im Ländlichen Raum“ wird auf Anregung des Ministerpräsidenten seit Mai von der Akademie Ländlicher Raum diskutiert. Es gab Veranstaltungen in Offenau, Lauda-Königshofen, Königsbronn und Breitnau, abgeschlossen wird der Zyklus im September in Oberndorf am Neckar.
Professor Siedentop: Der Bevölkerungsrückgang ist irreversibel
Fast immer ist der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Alexander Bonde (Grüne) dabei, außerdem Experten aus Wissenschaft, Verwaltung und Politik sowie ein Publikum aus Bürgermeistern, Gemeinderäten, Regionalverbandsdirektoren und – wenigen – Bürgern. Der „ländliche Raum“ ist das Zauberwort des grünen Teils der Landesregierung. „Motor für ein erfolgreiches Baden-Württemberg“ rühmt ihn Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch in Abgrenzung zu seinem Vizepartner Nils Schmid (SPD), der mit seiner Äußerung, es sei egal „wenn mal ein Schwarzwaldtal zuwächst“ einst gehörig für Aufregung gesorgt hatte.
Nirgendwo anders sei der Anteil der Wirtschaftsleistung auf dem Land so groß wie in Baden-Württemberg, betont Minister Bonde: 70 Prozent der Fläche ist ländlich, dort leben 34 Prozent aller Einwohner, die 30 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringen. Doch sei der Bevölkerungsrückgang „irreversibel“ und keine vorübergehende Erscheinung, sagt Stefan Siedentop, Professor an der Universität Stuttgart. Seine Studie über den demografischen Wandel ist das wissenschaftliche Unterfutter, auf dem die Möglichkeiten kommunalen Handelns diskutiert werden.
„Der ländliche Raum bleibt attraktiv, wenn man frühzeitig handelt, langfristig denkt und sich vernetzt“, betont Siedentop. Bürgerbeteiligung spare Kosten, so könne zum Beispiel mit einem (ehrenamtlich gefahrenen) Bürgerbus Mobilität gesichert werden. Ein anderes Stichwort ist „Interkommunalität“. Also: Ein Freibad für fünf Gemeinden – nicht eins für jede. Bürgerläden, wenn Supermarktfilialen schließen. Und „demografiefeste“ Infrastruktur: Aus einem Jugendzentrum muss auch mal ein Seniorenheim werden können.
Die Förderprogramme des Landes und der EU lösen nicht alle Probleme
Aber auch weniger kostet viel Geld. Ministerialdirigent Hartmut Alker, Abteilungsleiter im Ministerium, blättert Förderprogramme auf: Solche des Landes wie das „Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum“ mit 56 Millionen Euro Volumen. Und solche der Europäischen Union wie Leader mit 60 Millionen Euro Volumen. Für die nächste Tranche laufen derzeit die Bewerbungen, auch dabei haben vernetzte Gemeinden bessere Chancen. Doch Geld ist nicht alles. Bürger und Bürgermeister im ländlichen Raum klagen über andere Defizite. Über kein oder nur langsames Internet. Schnelle Glasfaserverbindungen wären nicht nur für Industrie, Tourismus und Hotellerie von zentraler Bedeutung, sondern auch für Landwirte. „Aber hier versagt der Markt“, klagt Minister Bonde. Weil Telekommunikation dem EU-Wettbewerbsrecht unterliegt, darf das Land nicht einfach eingreifen. Rechtliche Probleme gibt es auch beim Bürgerbus: Ein Projekt in Neustadt scheiterte am Verbot, dem Öffentlichen Nahverkehr Konkurrenz zu machen – obwohl der die geplante Strecke gar nicht befährt.
Die Attraktivität des ländlichen Raums hängt auch von Kindergärten und Schulen ab. „Warum kriegen wir keine Gemeinschaftsschule in Hinterzarten?“, fragt ein Vater aus Breitnau. Elterninitiative, Bürgermeister und Gemeinderat waren dafür. „Bestimmte Qualitätskriterien dürfen nicht unterschritten werden“, wehrt der Minister ab: Mindestens 40 Schüler und zwei Züge. Doch von 82 neu genehmigten haben 14 Gemeinschaftsschulen diese Kriterien auch nicht erfüllt, rügt der Steißlinger Bürgermeister Artur Ostermaier.
„Und warum klammert man die Landwirtschaft aus?“ fragt ein pensionierter Bauer. Nur sie könne die Landschaft offen halten – was für Bewohner und Besucher gleichermaßen wichtig ist. Und Kinder und Jugendliche? „Nur wenn sie sich hier sauwohl fühlen bleiben sie oder kommen mal wieder zurück“, sagt ein Mann vom Landesjugendring. Es hängt halt alles irgendwie zusammen, seufzt Siedentop, „es braucht einen regelrechten Masterplan zur Daseinsvorsorge“.
Der Beitrag des Ländlichen Raums zur Wettbewerbsfähigkeit
Das Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart (IREUS) hat im November 2011 eine im Auftrag des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz erstellte Studie vorgestellt, die den Beitrag der ländlichen Räume zur wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit untersucht. Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass sich die seit rund zehn Jahren anhaltende Abwärtsbewegung der Bevölkerungszahl auf dem Land fortsetzt. Bis 2030 wird ein Rückgang der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter von 12 Prozent erwartet, das Durchschnittsalter werde steigen, der Zug in die Stadt werde zunehmen. Den ländlichen Kommunen geben die Forscher die Empfehlung: „Nicht nur im Hinblick auf die Sicherung der Daseinsvorsorge stellt regionale Kooperation ein wirkungsvolles Instrument dar. In vielen Handlungsfeldern (Tourismus, Landschaftsschutz, ÖPNV, Regionalmarketing) lassen sich Synergieeffekte erzielen, werden gemeinsame Strategien im Sinne eines „Regionalmanagements“ entwickelt. Neben den durch die Zusammenarbeit ermöglichten Verbesserungen muss auch die Überwindung von Konkurrenzdenken und Misstrauen zwischen kommunalen Entscheidungsträgern als eines der Erfolgskriterien regionaler Kooperation gelten. Der maßvolle Einsatz von Förderwettbewerben kann hier wichtige Impulse liefern.“