Die Kohle aus dem Dorf sei nötig aufgrund der Energiekrise heißt es. Aber ob sie wirklich gebraucht wird, ist unklar.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Der Kampf um Lützerath dauert bereits lange. Schon 2006 wurden die ersten Bewohner entschädigt und zogen weg. Nicht so der Bauer Eckardt Heukamp – er hatte sich zehn Jahre lang gegen die Umsiedlung aus dem kleinen Dorfes in Nordrhein-Westfalen gestemmt. Er klagte sich durch die Instanzen, um gegen eine Enteignung vorzugehen. Im April 2022 hatte er seinen Hof schließlich nach einer weiteren Niederlage vor Gericht an RWE verkauft, alle Grundstücke und Gebäude im Ort gehören damit dem Energiekonzern. Heukamp war längst der letzte der 100 ursprünglichen Bewohner in dem Dorf – und eine Symbolfigur der deutschen Klimabewegung. Übrig geblieben sind nun nur die Klimaaktivist:innen, denen Heukamp irgendwann in einer stürmischen Nacht anbot, sich auf seinem Hof niederzulassen.

 

Lange werden auch die Aktivist:innen nicht mehr auf dem Hof sein. Ab diesem Mittwoch ist laut der Polizei mit einer Räumung zu rechnen. Aber worum geht es den Bündnissen names „Lützerath lebt“, „Ende Gelände“ und „Alle Dörfer bleiben“, die dort noch ausharren, eigentlich?

Ob die Kohle von Lützerath gebraucht wird, ist umstritten

Die nordrhein-westfälische Landesregierung argumentiert allgemein, dass die Kohle aufgrund der eingestellten Gaslieferung Russlands – eine indirekte Folge des Krieges in der Ukraine – benötigt werde. Allerdings kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) auch unter diesen Vorzeichen zu einem anderen Schluss: „Die Abbaggerung weiterer Dörfer wegen darunterliegender Braunkohlevorräte ist für den Braunkohlestrombedarf jedoch nicht notwendig“, heißt es in einer DIW-Analyse von April. Das gelte neben Lützerath auch für Mühlrose in Sachsen – der nach derzeitigen Planungen letzte Ort, der für Kohle zerstört werden soll.

Darauf baut auch die Argumentation der Aktivisten auf: Der Abbau der Kohle unterhalb von Lützerath sei gar nicht nötig. Gebraucht wird die Kohle unterhalb von Lützerath erst ab einem Bedarf von 170 Millionen Tonnen Kohle im Tagebau Garzweiler, zu dem Lützerath gehört, berichtete etwa der „Spiegel“. Das Energieberatungsunternehmen Aurora berechnete in einer Studie, dass aber maximal 124 Tonnen benötigt würden, selbst bei steigendem Stromverbrauch. Das Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen gibt jedoch einen zusätzlichen Bedarf von 55 Millionen Tonnen Kohle für die Veredelung von Braunkohle an, etwa für die Herstellung von Briketts. Das ergibt in Summe 179 Millionen Tonnen, also neun Tonnen über der Marke, die das Abgraben von Lützerath nötig machen sollen.

Abgrabung basiert auf einer Schätzung

Das Problem ist dem Bericht zufolge aber: Der Bedarf für die Veredelung ist eine Schätzung, und es gebe Anzeichen, dass der tatsächliche Bedarf in den kommenden Jahren niedriger ausfällt. Ob der Bedarf so niedrig wäre, dass man ohne der Lützerath-Kohle auskommen würde, ist indes unklar.

Zusätzlich kritisieren die Klimabündnisse, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht würde, wenn auch die Kohle unter Lützerath verfeuert wird. Fakt ist: Deutschland ist auch so auf keinem guten Weg, was die eigenen Klimaziele angeht, die der Expertenrat der Bundesregierung im November bescheinigte.

Der Widerstand hat schon mal was gebracht

In den vergangenen 100 Jahren fielen übrigens 300 Dörfer dem Abbau von Braunkohle zum Opfer, berichtet etwa die Naturschutzorganisation BUND. 120.000 Menschen wurden demnach umgesiedelt und eine Fläche von 1000 Quadratkilometern zerstört. Die meisten Orte wurden widerstandslos aufgegeben, aber es gab mancherorts auch massiven Widerstand. Etwa im Dorf Horno in der Lausitz, das fast 40 Jahre dagegen kämpfte, abgebaggert zu werden. 2004 wurde es geräumt.

Erfolgreicher waren Proteste gegen eine Erweiterung des Tagebaus Cospuden nahe Leipzig. Bis zu 10.000 Menschen protestierten, am Ende wurde die Erweiterung gestoppt. Und das Camp der Aktivisten im Hambacher Forst wurde zwar im Jahr 2018 geräumt. Die Räumung wurde aber später vom Verwaltungsgericht Köln als rechtswidrig eingestuft, und das Oberverwaltungsgericht Münster erließ ebenfalls noch 2018 einen Rodungsstopp.