Seit der private Träger Neustart die Bewährungshilfe in Baden-Württemberg organisiert, sinken die Fallzahlen und die Widerrufsquote.  

Stuttgart - Die Zwischenbilanz im Jahr des Ehrenamtes, zu dem die Europäische Union das Jahr 2011 ausgerufen hat, fällt erfolgversprechend aus bei der Neustart GmbH. Insgesamt 464 ehrenamtliche Bewährungshelfer betreuen derzeit für die private Organisation straffällig gewordene Menschen, die gerichtlich angeordnete Auflagen erfüllen müssen - was eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 30 Prozent bedeutet. Allein im Dezember 2010, so der Sprecher der gemeinnützigen GmbH, Michael Haas, seien landesweit 70 Bürger als Ehrenamtliche neu verpflichtet worden - in Freiburg, Heilbronn, in Ravensburg, Mannheim und in Ulm.

 

Ausgerechnet die Landeshauptstadt, wo vor knapp vier Jahren auch die Neustart-Geschäftszentrale eröffnet wurde, ist derweil das große Sorgenkind in der Statistik der ehrenamtlichen Mitarbeiter, wie Michael Haas betont. Angesichts der Einwohnerzahl und des gesellschaftlichen Potentials sei Stuttgart im Vergleich zu anderen Städten und Kreisen deutlich unterrepräsentiert, was auch an der Konkurrenz zu "anderen Ehrenamtstätigkeiten" liegen dürfte. Insgesamt sind in der Landeshauptstadt derzeit lediglich zehn ehrenamtliche Bewährungshelfer im Einsatz. Zum Vergleich: Im Rems-Murr-Kreis sind es aktuell 15, im Kreis Böblingen 16, in der Region Ulm 64 und in der Region Ravensburg 82.

Ehrenamtliche Helfer können intensiver betreuen

Der Arbeit dieser ehrenamtlichen Bewährungshelfer, die bei Neustart diverse Schulungen und Seminare durchlaufen, ist im Konzept der privaten Organisation eine tragende Rolle zugedacht. "Das Ehrenamt ist weniger eine Ergänzung als ein ganz zentrales Element der Bewährungshilfe", betont Haas. Über das Ehrenamt könne etwas realisiert werden, was in der hauptamtlichen Betreuung kaum Berücksichtigung finde: "Der zeitlich intensive Umgang mit Menschen in einer brisanten Lebenssituation." Ein Hauptamtlicher könne in der Regel nicht die Zeit aufbringen, so Haas, einen Klienten zu einer Behörde zu begleiten, mit ihm Formulare auszufüllen oder Zeitungsanzeigen durchzusehen.

Knapp 440 hauptamtliche Mitarbeiter sind derzeit bei Neustart im Einsatz, überwiegend studierte Sozialarbeiter, von denen viele bereits das Land Baden-Württemberg als Dienstherren hatten, bevor die Bewährungs- und Gerichtshilfe im Januar 2007 erstmals an einen privaten Träger vergeben worden war. Etwa hundert Klienten hatte ein Sozialarbeiter vor Übertragung der Bewährungshilfe in freie Trägerschaft zu betreuen. Aktuell seien es nur noch knapp 75 Klienten pro Mitarbeiter, sagt Michael Haas. Ziel sei es, diese Fallzahl mittelfristig weiter auf 1:60 zu abzusenken.

Rückfälle sollen verhindert werden

Eine Grundvoraussetzung dafür ist, das Netz an ehrenamtlichen Bewährungshelfern weiter zu spannen, deren Zahl in den nächsten Jahren sukzessive auf rund Eintausend zu steigern, so Haas. Maximal fünf Klienten darf ein Ehrenamtlicher parallel betreuen, wobei die jeweiligen Fälle "mit großer Sorgfalt ausgesucht werden", so Haas. Kapitalverbrecher, Sexualstraftäter und Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen, deren Betreuung umfassende sozialpädagogische Kenntnisse erfordern, werden von vorneherein nicht zugewiesen. "Die ehrenamtlichen Mitarbeiter werden nur mit solchen Fällen betraut, die sie nicht überfordern und die ihren Kompetenzen angemessen sind", sagt Haas. Zu den Aufgaben der ehrenamtlichen Mitarbeiter gehört etwa, verurteilten Drogenhändlern, Betrügern, notorischen Schwarzfahrern oder Ladendieben bei deren Alltagsproblemen wie Behördengängen oder der Jobsuche zu helfen und dafür zu sorgen, dass die Bewährungsauflagen eingehalten werden.

Langfristig will das Land Baden-Württemberg mit der Vergabe der Bewährungshilfe an Neustart zehn Prozent der bisherigen Kosten einsparen. Eine wichtige Zielvorgabe war zudem, eine Verbesserung in der Betreuung zu erreichen. Zentraler Indikator ist dabei die so genannte Widerrufsquote, also jene Fälle, in denen wegen neuer Straftaten oder erheblicher Verstöße gegen die Auflagen die Bewährung vom Richter zurückgenommen wird - was in der Regel zur Inhaftierung des Straftäters führt. Die Quote sei in den letzten Jahren von 21,5 auf 18,5 Prozent gesenkt worden, so Haas. Aktuell liege sie sogar bei 18,2 Prozent und damit signifikant unter dem bundesweiten Durchschnittswert. "Mit jedem Bewährungsklienten, der nicht rückfällig wird", betont Michael Haas, "spart das Land erhebliche Kosten, die bei einer Haftstrafe anfallen würden."

Hintergrund: Ein gemeinnütziges Unternehmen

Pilotprojekt Die Bewährungs- und Gerichtshilfe ist im Zuge der Justizreform im Jahr 2007 für zunächst zehn Jahre an den privaten Träger Neustart vergeben worden. Das Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochter des österreichischen Vereins Neustart, der im Nachbarland seit 50 Jahren justiznahe Sozialarbeit organisiert. Der endgültigen Entscheidung ging nach einer Ausschreibung ein zweijähriges Pilotprojekt in den Regierungsbezirken Stuttgart und Tübingen voran. Schon während dieser Zeit beschloss das Justizministerium, die Bewährungshilfe zu privatisieren - womit Baden-Württemberg bundesweit Vorreiter bei der Umstellung der Bewährungshilfe ist.

Struktur Neustart hat in Baden-Württemberg 250 Bewährungshelfer und 30 Gerichtshelfer übernommen, die weiterhin Landesbeamte sind. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen knapp 900 hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter, die jährlich etwa 21.000 Klienten betreuen. Landesweit gibt es neun Zentren in Stuttgart, Ulm, Freiburg, Heilbronn, Rottweil, Reutlingen, Karlsruhe, Ravensburg und in Mannheim. Die Geschäftszentrale der gemeinnützigen GmbH ist im Stuttgarter Westen in der Rosenbergstraße 122.

Alle Informationen unter www.neustart.org