Bewohner feiern ihr Hochhaus in Leonberg Geburtstag eines Wahrzeichens

Christdore Ullrich (links) und Karin Wolf: Ihr Herz schlägt für das Hochhaus Leo 1. Foto: S. Granville

Wo in Leonberg einst das Gipswerk war, stehen heute Hochhäuser. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Leo 1 wollen nun den runden Geburtstag ihres Gebäudes begehen.

Leonberg: Marius Venturini (mv)

„Die Wohnanlage Leo 1 verrät eine durchdachte Planung, die sich an den Bedürfnissen moderner Menschen orientiert.“ So klang das einst im Prospekt der Gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungs mbH. Wohnungskäuferinnen und -käufer sollten gewonnen werden, damals, Mitte der 1970er-Jahre. Schließlich trage man mit der Wohnanlage Leo 1 „allen Wünschen Rechnung: Weder vermisst man grüne Ruhepole noch fehlt es an städtischem Flair“. Kurzum: „Die Annehmlichkeiten der Stadtwohnung und die Ruhe und Geborgenheit einer Landwohnung wurden hier auf einen Nenner gebracht.“

 

180 Wohnungen in Leo 1, nochmal so viele in Leo 2

Knapp 50 Jahre steht Leo 1 nun schon in der neuen Stadtmitte, dort, wo einst die Gipsgrube und Ackerland lagen. Die Planungen begannen schon Anfang der 1970er-Jahre, Anfang 1976 standen die Hochhäuser schließlich. Und das will die Hausgemeinschaft von Leo 1 nun feiern. Fotos vom Rohbau aus dem März 1974 belegen: Das geht schon klar. „Rund 400 Menschen leben hier, insgesamt gibt es 180 Wohnungen“, schätzt Karin Wolf. Sie ist Vorsitzende des Verwaltungsbeirates und leitet zugleich den Festausschuss für die große Party am 21. September. Mitfeiern sollen vor allem die Bewohnerinnen und Bewohner der Neuköllner Straße 7 bis 11 – also die Eigentümer oder Mieter, die im Hochhaus Leo 1 wohnen.

Die Geschichte der Bauwerke Leo 1 und Leo 2 war ein Drama. Am 30. August 1973 sprach unsere Zeitung von der Möglichkeit eines „Schwarzen Freitags“ für die Stadt. Unter hohem Konjunkturdruck dachte die Neue Heimat über die Stilllegung der Bauarbeiten nach. Der völlige Abbruch des Projekts stand im Raum. Tags darauf dann die – für viele überraschende – Entwarnung: Die beiden Gebäude werden gebaut, wenn auch zeitlich um einige Monate verzögert. Bürgermeister Wolfgang Rückert damals: „Ich möchte meinen, dass angesichts der Situation, wie wir sie in den letzten Tagen erlebt haben, angesichts der Situation am Wohnungsmarkt, angesichts der gesamtwirtschaftlichen Situation, dieses Ergebnis als ein gutes Ergebnis bezeichnet werden kann.“

Rückert damals: „Hand in Hand mit Karstadt und ECE“

Laut Rückert habe die Stadt die notwendigen Initiativen in der Sache ergriffen. Er selbst sei zum Beispiel „Hand in Hand mit Karstadt und dem Leo-Center-Betreiber ECE vorgegangen“, ebenfalls habe er sich mit den Sprechern der vier großen Gemeinderatsfraktionen verständigt. „Wir haben die Neue Heimat darauf hingewiesen, dass sie – mit uns zusammen – dieses neue Stadtzentrum als einheitliches Ganzes konzipiert hat.“ Beide Seiten würden sich mit dem Projekt identifizieren und trügen die Verantwortung für seine Funktionsfähigkeit. Das saß. Am Ende war die Neue Heimat offenbar vor allem über einen nicht vorhandenen Käufermarkt besorgt. Dies wurde schließlich ausgeräumt, im Jahr 1976 standen die Hochhäuser.

Mit Karin Wolf im Festausschuss sitzt Christdore Ullrich. Die 78-Jährige lebt seit Mitte 2014 im 16. Stock von Leo 1. „Mein Mann war Meteorologe, er konnte von dort immer die Wolken beobachten“, erinnert sie sich. Darüber, dass es sich in der neuen Stadtmitte sehr angenehm leben lässt, sind sich die beiden Damen einig. Für viele sind die Wohnblöcke heute allerdings ein Augengraus. Diese Sichtweise hatte bereits vor knapp zehn Jahren der damalige Vorsitzende der Bürgergemeinschaft Neue Stadtmitte, Frank Wilhelm, gekontert: „Wir mögen unsere Stadtmitte nicht nur, wir verteidigen sie auch.“ Aber Moment. Verteidigen? Neue Stadtmitte? Exakt. Das ganze ans Leo-Center angrenzende Areal hatte – abgesehen von der streitbaren Optik – in der Tat stets einen Ruf von eher zweifelhafter Natur? Karin Wolf und Christdore Ullrich wiegeln ab. „Viele Eigentümer leben hier, die achten auf ihre Wohnungen“, sagt Wolf. Von dem Begriff Getto, der oftmals im Zusammenhang mit der Neuköllner Straße falle, sei man in ihren Augen weit entfernt. „Ab und zu kommen Jugendliche ins Treppenhaus und kiffen, manchmal pinkeln sie auch rein“, muss Karin Wolf aber doch gestehen – nennt das dann aber Einzelfälle, „die vor allem den Hausmeister ärgern“.

Neue Stadtmitte mit zweifelhaftem Ruf

Doch die miese Reputation der Vergangenheit existiert nicht ohne Grund. Der Bereich hinter dem Leo-Center zum Beispiel, mit der Volkshochschule und dem Bürgerzentrum, ist Privatgrund. Er gehört zu der Eigentümergemeinschaft der Leo-Hochhäuser. Dennoch wird er von den Leonbergern wie ein öffentlicher Platz genutzt – mit allen negativen Begleiterscheinungen wie Müll und Lärm. Hochhäuser wie Leo 1 und Leo 2 würden heute in dieser Form wohl nicht mehr genehmigt werden. Einst merkte Wolfhard Joswig an: „Stellen Sie sich einmal vor, es wären statt der 360 Wohnungen in Leo 1 und 2 genauso viele Einfamilienhäuser gebaut worden. Jedes mit eigener Heizung, eigenen Anschlüssen und so weiter.“ Joswig dürfte der einzige Bewohner von Leo 1 sein, der seit der Fertigstellung des Gebäudes dort lebt. „Es wohnen viele Ältere Menschen hier“, bestätigen Christdore Ullrich und Karin Wolf, „und auch einige ausländische Familien.“

Einst Gipswerk, Gleise führten durch die Römerstraße

Darüber hinaus besitzt die Stadt Leonberg einige Wohneinheiten im Haus, auch die Firma Geze, die laut Karin Wolf für die Heizung verantwortlich zeichne. Zu jeder Wohnung – es gibt sie in drei Größen – gehört ein abschließbarer Tiefgaragenstellplatz.

Die Häuser bezeichnen Wolf und Ullrich als eines der Wahrzeichen der Stadt Leonberg. Aber es gab auch eine Zeit davor. Christdore Ullrich kann sich noch gut an ihre Zeit als Grundschülerin in Leonberg erinnern, nachdem sie mit vier Jahren aus Lemgo in Nordrhein-Westfalen hergezogen war. Ihr Vater hatte am Kreiskrankenhaus als Chefarzt der Chirurgie angefangen. „Da lagen noch die Gleise entlang der Römerstraße, hin zum Gipswerk, und die ganzen Äcker“, berichtet sie.

Inzwischen genießt sie die Aussicht von oben. Vor allem an Silvester sei die spektakulär. „Man sieht gleich drei Feuerwerke: das in Eltingen, das im Stadtpark und das im Rest von Leonberg“, schwärmt sie. Und auch abseits vom Jahreswechsel gibt es immer etwas zu gucken. „Wenn zum Beispiel der Engelbergtunnel mal wieder dicht ist, sieht man den Stau“, sagt sie und lacht.

So soll die Geburtstagsfeier steigen

Das Fest
Den 50. Geburtstag des Projekts Leo 1 will die Hausgemeinschaft feiern: am 21. September von 14 bis 18 Uhr. Das Fest richtet sich vor allem an die Bewohnerinnen und Bewohner, wie Karin Wolf und Christdore Ullrich betonen. Steigen soll die Party auf dem Areal zwischen dem Hochhaus und dem Bürgertreff, nahe dem Hintereingang zum Leo-Center. Der Festausschuss verkauft Eintrittskarten, um den Besucherstrom kontrollieren zu können.

Und was passiert mit den Einnahmen?
Falls es einen gibt, fließt der Überschuss an die Wohnungseigentümergemeinschaft. Denn in einem solch gigantischen Hochhaus gibt es immer Themen, die ans Geld gehen – sei es die Reparatur des Flachdaches oder die Sanierung der Tiefgarage. Jüngst wurden für eineinhalb Millionen Euro die Fahrstühle instandgesetzt.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Leonberg Hochhaus Krankenhaus