In Russland posten bezahlte Schreiber allerlei Polit-Spam in den Online-Portalen. So klar die politische Ausrichtung ist – pro Putin und anti Nato – so unklar sind Finanzierung und Beschäftigungsverhältnisse.

Stuttgart - Die Kleinanzeige im Lokalblättchen schien maßgeschneidert für Ljudmila Sawtschuk. Gesucht wurden kreative Schreiber für Online-Projekte. Beim Vorstellungsgespräch im Dezember 2014 erfuhr sie, dass es sich um politische Texte handelt. Kurznachrichten mit jeweils etwa 200 Zeichen und fünf Tags: Schlag- und Schlüsselwörtern, die vorgegeben wurden wie der Tenor. Positives Grundrauschen war bei „Putin“, „Russlands Armee“, „Krim“ oder „Donbass“ angesagt, negatives bei „Kiewer Junta“, Nato und Obama. Dafür gab es gutes Geld: 41 000 Rubel, das sind knapp 750 Euro und erheblich mehr als der statistische Durchschnittsverdienst in Russland.

 

Volle Lohnzahlung gab es allerdings nur bei Erfüllung der Norm: 135 Posts pro Schicht, die zwölf Stunden dauert. Ende Februar wurde Sawtschuk gefeuert. Der 34-jährigen war die Sache spanisch vorgekommen, sie hatte Journalisten der Petersburger Stadtteilzeitung „Moj rajon“ vom Treiben in dem viergeschossigen grauen Bürogebäude in einer Schlafstadt an der Peripherie erzählt. Und damit angeblich gegen ihren Arbeitsvertrag verstoßen, der sie zum Schweigen gegenüber Dritten verdonnerte. Sie habe nie einen Arbeitsvertrag gehabt, sagt Sawtschuk und Lohnzahlungen seien stets in bar erfolgt. Beides verstößt gegen russisches Recht.

Sawtschuk klagt daher, der Prozess beginnt in Kürze. Dabei, so Sawtschuks Anwältin Anwältin Darja Suchych, die sich in einer Petersburger Menschenrechtsgruppe engagiert, werde es um mehr als um Arbeitsrecht gehen. Sawtschuk war eine der ersten, die Medien mit Insiderwissen über russische Troll-Fabriken versorgte: Unternehmen, die in sozialen Medien hunderte Nutzer-Konten einzig und allein anlegen, um andere User-Accounts mit serienmäßig produziertem Polit-Spam zu fluten. Und um Online-Foren, Blogs oder Kommentarspalten russischer und internationaler Medien mit regelrechten antiwestlichen Hetzkampagnen und Kreml-Agitprop zu attackieren. Beim G-7-Gipfel hatten die Trash-Trolls sogar den Account von Angela Merkel beim Online-Fotodienst Instagram – in Russland populärer als Facebook – mit gehässigen, teils sogar beleidigenden Kommentaren zugemüllt.

Eine Fabrik in St. Petersburg

Russische Mainstream-Medien verloren dazu bisher kein Wort und scheuen das Troll-Thema überhaupt. Aus Angst vor Konsequenzen. Denn Nettozahler soll die Kremladministration sein, diese bei der Abwicklung des Geldtransfers jedoch den Unternehmer Jewgeni Prigoshin zwischengeschaltet haben. Ihm gehört eine Kette von Restaurants, auf die auch der Kreml beim Catering für Bankette und Empfänge häufig zurückgreifen soll. Den Kreml-Spam produziert offenbar vor allem eine Troll-Fabrik in Putins Heimatstadt St. Petersburg. Sie nennt sich „Agentur für Internetforschungen“ und ist, wie die Anwältin von Aussteigerin Sawtschuk Medien steckte, ins Handelsregister als Baufirma eingetragen. Unter der dort als Kontakt-Telefon hinterlegten Mobilfunknummer meldet sich ein Mann, der ebenfalls längst ausstieg. Seinen Namen will er nicht nennen, klagen auch nicht. Aber seine Sympathien gelten „allen, die sich das trauen“.

Der Job sei der abenteuerlichste gewesen, den er je hatte, sagte ein weiterer Ex-Troll dem russischen Dienst von US-Auslandssender Radio Liberty: Marat Burkchard, der eigentlich kein Aussteiger ist, sondern ein Undercover-Journalist. Ursprünglich wollte er nur eine Reportage schreiben, inzwischen plant er ein Buch. In dem grauen Bürohaus ohne Firmenschild am Stadtrand von St. Petersburg, sagte der Mittdreißiger dem Sender schon Ende März, seien auf insgesamt vier Etagen etwa 40 verschiedene Abteilungen mit jeweils rund 20 Mitarbeitern tätig. Darunter eine für Sondervorhaben und eine fremdsprachige, wo fast der doppelte Lohn gezahlt wird.   Räumlich seien alle Abteilungen streng voneinander getrennt, Austausch mit Kollegen sei nicht erwünscht. Es gäbe Überwachungskameras und stichprobenartige Kontrollen, ob Posts in Ton und Inhalt den Vorgaben entsprechen.

Er als überzeugter Liberaler habe sein Rückgrat „heftig verbiegen“ müssen, es dennoch nicht immer getroffen und sei mehrmals abgemahnt worden. Burkchardts Abteilung sollte vor allem Diskussionsforen in der russischen Provinz mit Beiträgen befüllen und dort bereits veröffentlichte kommentieren. Damit es echt wirkt, sagte Burkchard dem Sender, habe es eine klare Rollenverteilung gegeben: Einer mimte den Bösewicht und kritisierte die Macht, zwei Opponenten machten ihn nieder. Einer davon musste dazu ein passendes Foto einstellen, der andere einen Link, der seine Behauptung bestätigt. Jeder Kommentar musste auf 35 regionalen Foren gepostet werden. Ob es auch Erfolgskontrollen gegeben habe, wollte der Moderator wissen. Njet, sagte Burkchard: Wer liest schon solchen Mist?