Haben Sie mit Vorurteilen zu kämpfen?
Niels R. Ja. Zum Beispiel, dass wir von einem Bett ins nächste springen.
Julia Lilien M. Dabei geht es bei uns nicht um Sex, sondern um Gefühle. Ein weiteres Vorurteil: Frauen, die polyamor leben, werden häufig als „leicht zu haben“ abgestempelt. So à la: Wenn die ja eh drei Partner hat, dann kann ich bestimmt auch noch ran.
Niels R. Polyamore Männer gelten dagegen als coole Typen und bekommen von anderen Männern Respekt.
Julia Lilien M. Aber viele Frauen drehen sofort um, wenn sie erfahren, dass du nicht exklusiv zu haben bist.
Wie gehen Sie mit Eifersucht um?
Niels R. Wir sind auch nur Menschen, da kommt Eifersucht eben vor. Wir reden häufig über unsere Bedürfnisse und Wünsche. Das hilft uns auch dabei rauszubekommen, woher dieses Gefühl kommt. Meist ist es Verlustangst.
Julia Lilien M. Aber diese Angst lässt mit der Zeit nach, und es stellt sich ein Gefühl von Sicherheit ein. Ich weiß genau, warum Niels mit mir zusammen ist. Ich glaube, dass das viele monoamore Menschen nicht wissen. Ich empfinde Christina nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung der Beziehung. Ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass Partnerschaften stabiler werden, je mehr Leute in einem Beziehungsnetzwerk sind.
Niels R. Dadurch konzentrieren wir nicht all unsere Bedürfnisse nur auf eine Person.
Julia Lilien M. Es ist beispielsweise ein unbeschreiblich schönes Gefühl, wenn ich Niels und Christina zusammen sehe und merke: Die sind gerade total glücklich miteinander. Ich kann aber auch mit Niels offen darüber reden, wenn eine meiner Beziehungen gerade nicht so gut läuft. Er tröstet mich dann.
Wie koordinieren Sie Ihre Verabredungen?
Julia Lilien M. Wir haben gemeinsame Google-Kalender, auf welche die Partner Zugriff haben und Termine eintragen können. Dann kann man Terminvorschläge an jeden Partner schicken. Organisationstalent ist sicherlich hilfreich, wenn man polyamor lebt.
Niels R. In den Kalender trage ich auch die Zeit ein, die ich für mich alleine brauche.
Julia Lilien M. Und das respektieren wir dann. Ich würde Niels nie wegen etwas Unwichtigem anrufen, wenn er gerade „Me-Time“ hat oder sich mit jemand anderem trifft. Spontan ein Treffen zu verschieben geht allerdings schlecht. Ich plane bis zu vier Wochen im Voraus.
Niels R. Diese Kalenderorganisation mag seltsam klingen, klappt aber wunderbar.
Wie sieht Ihre Familienplanung aus?
Niels R. Das ist nicht ganz einfach. Christina und ich wollen Kinder, Lilien nicht.
Julia Lilien M. Das ist auch der Hauptgrund, wieso Niels und Christina verlobt sind und nicht Niels und ich. Wir hätten gerne eine Lösung gehabt, bei der alle Partner gleichberechtigt sind. Weil das nicht geht, haben wir uns für das Beste für die Kinder entschieden. Dass Niels nicht die leibliche Mutter seiner Kinder heiratet, wäre unvernünftig gewesen.
Wer wird sich um die Kinder kümmern?
Julia Lilien M. Derzeit planen wir, die Kinder zu dritt aufzuziehen. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass ich Mutter werde, aber Co-Mutter zu sein, das fände ich ganz gut. Auch das ist ein Vorteil von Polyamorie: Ich muss nicht alles wollen, was mein Partner will. Ich muss keine Kinder mit Niels kriegen, das kann er mit Christina machen. Hätten wir eine Monobeziehung, müsste er entweder auf die Kinder verzichten, oder ich müsste mich verbiegen und Kinder bekommen. Schlimmstenfalls würde die Beziehung scheitern. Das ist doch Käse. Außerdem können mehr Bezugspersonen und unterschiedliche Standpunkte für ein Kind nicht schädlich sein, eher im Gegenteil.
Niels R. Jeder kann dem Kind etwas anderes beibringen, und es ist immer jemand für das Kind da. Meine Idealvorstellung wäre eine Wohngemeinschaft mit mehreren Familien.
Julia Lilien M. Mit dem Polysein stellen wir das traditionelle Familienbild infrage. In der Praxis ist das nicht leicht, weil es festgeschriebene Regeln gibt, die dem zuwider laufen. Beispielsweise werde ich keine Rechte haben, wenn ich die Kinder von Niels und Christina mit aufziehe: Ich kann nicht als dritter Erziehungsberechtigter eingetragen werden. Ich hoffe, dass sich unsere Gesellschaft so weiterentwickelt, dass Lebenskonzepte wie unseres problemlos umgesetzt werden können.