Bezirksbeiräte und Anwohner diskutieren darüber, wie man besser an den Neckar kommt.

Stuttgart-Hedelfingen - Es ist schon fast absurd: Die Menschen in den oberen Neckarvororten leben quasi am Fluss, aber ihren Sonntagsspaziergang können sie dort kaum machen. „Im Tal sieht man den Fluss nicht – außer von den Brücken aus“, sagte Hedelfingens Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler jetzt bei einer gemeinsamen Sitzung der Bezirksbeiräte Hedelfingen, Obertürkheim, Untertürkheim und Wangen.

 

Der Zweck des Treffens in der Hedelfinger Versammlungshalle: Die Bezirksbeiräte sollten gemeinsam mit den Bürgern Ideen entwerfen und diskutieren, wie die Anwohner besser an den Fluss herankommen. In einem nächsten Schritt sollen die Vorschläge in den Sitzungen der jeweiligen Bezirksbeiräte aufgegriffen und planerisch sowie finanziell weiterverfolgt werden. „Es ist uns ein großes Anliegen, die Bürger bei diesem Thema zu beteiligen“, sagte Seiler. Das Thema „Stadt am Fluss“ beschäftigt die Verwaltung und die oberen Neckarvororte schon seit geraumer Zeit. Bereits vor 14 Jahren sind erste Ideen entwickelt worden. Konzepte wurden erarbeitet und Vorschläge gemacht. Passiert ist aber wenig. Das soll sich mit dem Neckarworkshop ändern.

Der Neckar ist mehr ist als eine kanalisierte Wasserstraße

„Wir haben einen Bewusstseinswandel“, stellte Hermann-Lambert Oedinger vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung fest. Inzwischen beobachte er eine Hinwendung zum Fluss und die einsetzende Erkenntnis, dass der Neckar mehr ist als eine kanalisierte Wasserstraße. Sein Kollege Hermann Degen machte gleich Vorschläge, was sich in Zukunft ändern könnte. Zum Beispiel auf Höhe des EnBW-Kraftwerks bei der Mündung der B 14 in die B 10: diese Industrieatmosphäre mit nicht mehr gebrauchter Infrastruktur könnte mit Kunstinstallationen aufgewertet werden. Auf einer Krananlage könnte eine Aussichtsmöglichkeit geschaffen werden.

Auch das Lindenschulviertel in Untertürkheim hatte der Planer im Blick. Dort, wo derzeit ein Parkplatz ist, könnten am Oberwasserkanal, der das Flusswasser zum Wasserkraftwerk Untertürkheim führt, Wohnungen gebaut werden. Die Straße Zum Ölhafen könnte umgestaltet werden. „Die Uferstreifen sind Eigentum der Bundesrepublik Deutschland“, sagte Walter Braun, der Leiter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Stuttgart. Aber: „Die Böschung wird derzeit nicht von der Schifffahrt gebraucht.“ So wäre der Weg für die Bewohner zum Neckar hin frei. Hermann Degen betonte: „Diese Fläche hat viel Potenzial.“

Und nicht nur diese: wie gewünscht sprudelten an diesem Abend die Ideen, wie man in den oberen Neckarvororten den Fluss besser zugänglich machen könnte. Anwohner, Bürger, Bezirksbeiräte, Planer und Architekten beugten sich über Pläne, zeichneten Skizzen, markierten neuralgische Punkte. Es kamen alte, aber auch neue Ideen: Diskutiert wurden nicht nur die bekannten Vorschläge für ein Café im Bereich des Unterwassers der Untertürkheimer Schleuse auf Wangener Seite, sondern auch bessere Übergänge über den Fluss, verbesserte Radwege entlang des Neckars und Lärmschutzmaßnahmen wie Flüsterasphalt, begrünte Fabrikfassaden sowie andere Bepflanzung an der B 10-Böschung. Eine Gruppe befasste sich mit der Querung zwischen Hedelfingen und Obertürkheim. Die Otto-Hirsch-Brücken seien ein „Unort“, meinte ein Bürger, völlig unattraktiv für Fußgänger. Wie man besser mit seinem Fluss umgeht, könne man in vielen anderen Städten sehen. „Keine Stadt der Welt sieht den eigenen Fluss so desinteressiert wie die Stadt Stuttgart“, sagte Hans Werner Kastner vom Stadtplanungsforum.

Hedelfingens Bezirkvorsteher ist zufrieden mit dem Abend

Ein weiterer Vorschlag aus den Diskussionsgruppen: an den Brücken könnte die B 10 nach dem Vorbild der Konrad-Adenauer-Straße im Bereich des Charlottenplatzes teilweise überdeckelt werden. Das würde die Aufenthaltsqualität verbessern und die genannten Querverbindungen zu den anderen Stadtteilen hin stärken. Ein ganz besonderer Ort war für eine der Gruppen die Spitze des Mittelkais, der die beiden Hafenbecken trennt. Dort könnten sich die Bürger einen Aussichtspunkt vorstellen zur Beobachtung der Schifffahrt, aber auch ein Café oder eine Gestaltung mit Licht.

Hedelfingens Bezirkvorsteher Seiler ist zufrieden mit dem Abend: „Ein Anfang ist gemacht.“ Nun werden in den nächsten Sitzungen der Bezirksbeiräte die Vorschläge noch einmal vorgestellt und an die Stadtverwaltung weitergegeben mit der Bitte zur Prüfung. Im Lauf des kommenden Jahres rechnet der Bezirksvorsteher mit konkreten Antworten aus dem Stadtplanungsamt. Seiler: „Ich denke, dass wir einen richtig großen Schritt gemacht haben.“

Stadt am Fluss:

Idee
: Stuttgart nimmt einen neuen Anlauf, um den Bürgern ihren Fluss zurückzugeben. Anfang des Jahres haben die Stadtplaner 18 Projekte entlang des Neckars vorgeschlagen.

Projekte:
Drei Projekte liegen in den oberen Neckarvororten, zwei davon haben aber faktisch nichts mit dem Neckar zu tun: die Renaturierung der alten Wegeverbindungen am Wangener Osthang und die Reparatur der Trockenmauern auf dem Obertürkheimer Ailenberg. Allein die geplante Grünanlage in Untertürkheim gegenüber vom Lindenschulzentrum betrifft eine Fläche direkt am Fluss.