Malen, sägen, kleben – Kinder aus der Ukraine durften sich einen Nachmittag lang in der BHZ-Kreativwerkstatt künstlerisch ausleben. Was dabei herauskam, ließ so manchen Erwachsenen schlucken.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Welche Farben dürfen es denn sein? Jürgen Krist, der Leiter der BHZ-Kreativwerkstatt, hat seinen jungen Besucherinnen und Besuchern die ganze Palette zu bieten. Es geht darum, Holzherzen zu bemalen, um sie in die Heimat zu schicken. Die ukrainischen Kinder, die diesen Nachmittag über bei Krist und seinem Team zu Gast sind, machen ihm schnell auch ohne Worte klar, welche beiden Farben ihnen am wichtigsten sind: Gelb und Blau, die Nationalfarben der Ukraine. „Natürlich“, sagt Krist.

 

Zwischen fünf und 13 Jahre alt sind die Jungen und das eine Mädchen, die der Einladung gefolgt sind, einen unbeschwerten Nachmittag in der kunterbunten Kreativwerkstatt in Feuerbach zu verbringen – eine Initiative von BHZ und der Aktion Weihnachten der Stuttgarter Nachrichten. „Vielleicht können sie hier ein Stück Normalität erleben“, hofft Petra Mack, die für den Stuttgarter Norden zuständige Leiterin beim BHZ. Weil jedes der Kinder „einen Herzensmenschen“ in der Heimat habe zurücklassen müssen, seien sie auf die Idee mit den Holzherzen gekommen. Diese sind so dünn, dass sie in einen Briefumschlag passen.

Auf Wohnungssuche „zu dritt, ohne Tiere“

Auch sonst ist alles liebevoll vorbereitet: Im Innenhof haben Mitarbeitende ein Buffet aufgebaut – eine blau-gelbe Wimpelkette aus Holz hängt über Bierbänken. „Herzlich willkommen“ steht auf Ukrainisch darauf geschrieben. Beschäftigte hätten die Wimpelkette angefertigt, berichtet Mack. Bei den Familien kommt die Geste sehr gut an. Das ganze Angebot sei großartig, sagt zum Beispiel die 52-jährige Valentina, die ihren Enkel Damir an diesem Nachmittag begleitet. Er geht bisher in keine Kita, der Alltag ist nicht einfach. Sie seien aus Charkiw, erzählt Valentina, und zu dritt am 8. März geflüchtet: ihre Tochter, sie und Damir. Die Tage vor der Flucht hätten sie im Kellerbunker verbracht. „Es war schlimm“, sagt sie auf Ukrainisch. Denis Zipa, einer der ehrenamtlichen Helfer, übersetzt.

Die ersten Wochen kamen sie bei einer sehr netten Stuttgarter Familie unter, dann zogen sie in ein von der Stadt angemietetes Hostel. Am 24. Juli müssten sie da aber raus. Wohin es dann geht? Das wisse sie noch nicht. „Oma, Tochter, Junge – zu dritt, ohne Tiere“ – das sei ihr Spruch auf Wohnungssuche. Die schöne Ablenkung in der Werkstatt sei toll für Damir, sagt seine Oma.

Die Weihnachtsmännle sind „die Russen“

Der Fünfjährige ist tatsächlich mit Feuereifer dabei. Eben hat er typische BHZ-Männle – diesmal kunterbunt – angemalt, nun ist ein Holzschwert dran, das Jürgen Krist ihm an der Dekopiersäge ausgesägt hat. Konzentriert trägt der Bub grüne Farbe auf. Auch Vladislav, ein 13-Jähriger, ist völlig vertieft. Er hat den Brenner entdeckt, mit dem man Schriftzüge ins Holz brennen kann – oder einfach Löcher kokeln. Er verlässt den Brennplatz lange nicht. Auch seine Schwester Anastasia brennt einen Schriftzug in ein Brett: „Slava Ukraini“ (Es lebe die Ukraine). Stolz zeigt sie, was sie sonst schon gemacht hat: Aus einem Männle wurde – unterstützt von einer Beschäftigten mit Behinderung – ein Mädle in Gelb-Blau mit langen Haaren. Ein Männle hat sie in Deutschland-Farben angemalt. Das blaugelbe Herz setzt sie zwischen die Figuren.

Leo, ein weiterer Fünfjähriger, der aus Odessa geflüchtet ist, räumt derweil in der Werkstatt auf. Die Ordnung, die er schafft, lässt einige Erwachsene schlucken. Auf einem Tisch standen zwei Arten von fertigen Holzmännle aufgereiht – die eine Hälfte Weihnachtsmännle. Leo hat die rot-weißen Männle weg auf eine Heizung gestellt. Sein eigenes gestaltetes Männle hat er bei den übrigen Holzfiguren platziert. Warum? Leo zeigt auf die Weihnachtsmännle: „Das sind die Russen, die sind böse“. Dann zeigt er auf die anderen: „Das sind die Ukrainer.“ Und er sei bei den Guten.

Der Vater des Jungen ist inzwischen Gefangener

Der Nachmittag vergeht wie im Fluge. Auch Jürgen Krist gefällt er „super“. 2015 hätten sie einmal syrische Geflüchtete zu Gast gehabt, damals allesamt Erwachsene. „Es war für mich sofort klar, dass wir das wieder ermöglichen“, sagt der Werkstattleiter. Im kreativen Raum könne man sich leichter begegnen. „Man hat gemerkt, dass die Hemmungen bei den Kindern ganz schnell weg waren“, freut er sich.

Vor dem Abschied werden noch die Holzherzen in die passend frankierten Briefumschläge gesteckt. Anastasias Herz geht in einen Kiewer Vorort, wo ihre Patentante und ihr Onkel leben. Damirs Herz bekommen seine Uroma und sein Uropa. Seinem Papa kann er keines schicken. „Er ist nicht mehr in der Ukraine“, hat Valentina kurz zuvor unter Tränen in der Werkstatt berichtet. Er sei inzwischen in Russland.