Biathlon-Legende Ole Einar Björndalen und seine Ehefrau Darja Domratschewa sollen die chinesischen Biathleten fit für die Winterspiele 2022 in Peking machen – es gibt leichtere Herausforderungen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Antholz - Quarantäne? Die chinesische Biathlon-Mannschaft? Wegen des Corona-Virus? Ganz kurz machte ein Gerücht bei der WM in Antholz die Runde, nur um innerhalb kurzer Zeit als Hirngespinst entlarvt zu werden. Die Chinesen sind im Garberhof in Nierderrasen untergebracht, außer ihnen residiert dort zwar keine andere Nationalmannschaft mehr, wohl aber andere Gäste. Und jeder, der die Vier-Sterne-Herberge Garberhof mit ihrer 1500 Quadratmeter großen Wellness-, Spa- und Hamam-Landschaft betreten oder verlassen will, kann dies tun, wann immer er dazu Willens ist. Also auch die Chinesen. Ole Einar Björndalen nimmt die ganze Angelegenheit mit Humor. „Lassen Sie uns nicht über das Corona-Virus sprechen, sondern über Corona Bier“, sagt der 20-malige Weltmeister.

 

Nein, niemand der chinesischen Biathleten dürfte sich angesteckt haben, die vier jungen Frauen und Männer haben Europa seit Oktober nicht mehr verlassen, Sie hätten einmal nach Hause fliegen sollen, um dort einige Wettkämpfe zu absolvieren, aber weil das Virus dort schon wütete, durften sie nicht mehr einreisen. Und man darf davon ausgehen: Sie wollten auch nicht. Also bereitete sich das Team in Hochfilzen und Ruhpolding auf die WM vor. „Wären wir zwei, drei Tage früher als geplant nach China gereist, wären wir nicht mehr aus dem Land rausgekommen“, erzählt Björndalen, „da haben wir Glück gehabt. Die Athleten müssen wohl mindestens noch bis Mai, Juni in Europa bleiben.“ Dann kann der Norweger seinen Schützlingen ja noch ein paar Lehrgänge nach der Saison vermitteln, schaden kann es nicht, denn der bislang erfolgreichste Biathlet hat sich eine große Aufgabe aufgebürdet. Eine verdammt anspruchsvolle.

Die besten Chinesen liegen im Weltcup auf Rang 64

Er soll die Mannschaft fit für die Olympischen Spiele 2022 in Peking trimmen, was etwa so fordernd sein dürfte wie einem Braunbären das Radfahren beizubringen. Der beste Chinese Fangming Chen (25) steht aktuell auf Platz 64 im Weltcup, er hat 79 Prozent Trefferquote und ist ein leicht überdurchschnittlicher Läufer. Jialin Tang (28), die beste Frau, steht ebenfalls auf Rang 64 im Weltcup, hat eine Quote von 85 Prozent und ist im Skaten Durchschnitt.

Ole Einar Björndalen reizt es, das Unmögliche möglich zu machen – so wie bei der WM 2017 in Hochfilzen, als der für einen Sportler Hochbetagte mit 43 Jahren WM-Bronze in der Verfolgung gewann. Damit hatte kaum jemand gerechnet. Nichts ist unmöglich, heißt man Björndalen. Nun also auch als Trainer, was er eigentlich nach eigener Aussage nie werden wollte, aber das Angebot der Chinesen war wohl so verlockend, dass es eine Sünde gewesen wäre, es auszuschlagen. „Ich wurde schon vor knapp zwei Jahren angesprochen. Ich fand das sehr interessant, habe mich aber erst mal schlau gemacht“, sagt der achtmalige Olympiasieger, „mein Vertrag läuft über zweieinhalb Jahre bis zu den Spielen.“

Also hat Björndalen unterschrieben und ist seit Sommer 2019 Biathlon-Cheftrainer, er leitet ein Team aus etwa 30 Personen, darunter der französische Schießtrainer Jean-Pierre Amat sowie sein Landsmann Tobias Torgersen – und seine Ehefrau Darja Domratschewa, die geschickterweise als Trainerin der Frauen installiert wurde. Was selbstverständlich seine Vorteile hat, nicht nur, weil die gebürtige Weißrussin einmal eine ausgezeichnete Biathletin war, die vier Olympiasiege einheimste. „Das ist vorteilhaft, weil wir mehr als 300 Tage im Jahr unterwegs sind“, betont Björndalen, „wenn du das nicht mit deiner Familie machen kannst, hast du bald keinen Hausschlüssel mehr.“ Auch die gemeinsame Tochter Xenia (3) ist stets mit von der Partie, kein Problem: Sie muss bis zum Jahr 2022 ja noch nicht zur Schule, und wenn Mama und Papa ihrer Berufung nachgehen, kümmert sich ein Kindermädchen um das Wohl der Kleinen.

Um Tochter Xenia (3) kümmert sich ein Kindermädchen

Björndalen (46) und Domratschewa (33) sollen ein Team aufbauen, was auch deshalb schwierig ist, weil Biathlon im Reich der Mitte in etwa so populär ist wie Cricket in Deutschland – nur ganz besondere Menschen wählen diesen Sport. Langläufer haben sie dagegen in ausreichender Menge, so dass der Norweger fast so etwas wie die Castingshow „China sucht den Superschützen“ veranstalten muss, um noch ein paar Zugänge für seine Mannschaft zu rekrutieren.

Ein ziemlich unmögliches Unterfangen, und um die Herausforderung zu verschärfen, ist da ja die Sprachbarriere. Fangming Chen spricht kein Wort Englisch, weshalb Björndalen sich mit Händen und Füßen mit ihm unterhalten muss. „Das geht ziemlich gut“, sagt er, wobei er für sich behält, wie gut „ziemlich gut“ ist. Chinesisch zu lernen, das fiele dem Ehepaar nie ein. „Wir haben andere Ziele als eine Sprache zu erlernen“, betont Darja Domratschewa. Eine nahezu unmögliche Herausforderung reicht voll und ganz.