Michael Greis darf nach einer Saison voller Rückschläge am Samstag bei Weltmeisterschaft in Ruhpolding am Sprint teilnehmen.

Ruhpolding - Als Michael Greis spürt, es wird doch noch etwas mit der Weltmeisterschaft, hat er Schmerzen. Ein „wahnsinniger Muskelkater“ plagt ihn im Februar in Ridnaun (Südtirol), im letzten Trainingslager der deutschen Biathleten vor den Titelkämpfen. Aber da fühlt er, „wie die Lebensgeister in meinen Körper zurückkehren und sich wehren“, sagt Greis.

 

Und dann passiert, was er selbst nicht mehr zu träumen gewagt hat. In Ridnaun zeigt er starke Leistungen. Obwohl er die WM-Norm nicht geschafft hat, nominieren die Trainer statt Michael Rösch ihn für den Kader. Und weil er sich bei einem Testwettkampf im internen Duell um einen Startplatz dann auch noch gegen Daniel Böhm durchsetzt, darf er am Samstag (12.30 Uhr/ZDF und Eurosport) im Sprint sogar bei der Heim-WM in Ruhpolding starten.

Pünktlich zum Höhepunkt der Saison läuft doch noch scheinbar alles für Michael Greis. Denn diesen Startplatz hat er nicht nur seinem eigenen Formanstieg zu verdanken, sondern auch der Tatsache, dass die deutsche Mannschaft am Samstag ausnahmsweise mit fünf Biathleten antreten darf. Weil Arnd Peiffer Titelverteidiger in dieser Disziplin ist, können die Gastgeber einen zusätzlichen Starter ins Rennen schicken. Und nach Andreas Birnbacher, Daniel Graf und Simon Schempp ist das eben der Mann aus Nesselwang, Greis.

„Ich freue mich so sehr, dass ich überhaupt dabei bin“, sagt der 35-Jährige. Für einen dreimaligen Olympiasieger, dreimaligen Weltmeister und Gesamtweltcupsieger von 2007 klingt das sehr zurückhaltend. Aber für Greis trifft diese Aussage vollkommen zu, denn hinter ihm liegt eine Saison voller Rückschläge und Zweifel. „Das war die schwerste Zeit meiner Karriere.“

„Es war wie Folter“

Es beginnt schon in der Vorbereitung im August 2011. Er knickt beim Fußballspielen um und verletzt sich am Sprunggelenk, er muss operiert werden und sechs Wochen pausieren. Beim Saisonauftakt wird Greis – auch für ihn überraschend – Zehnter in der Verfolgung. Doch schon in Hochfilzen bricht er ein und kommt im Sprint nur auf Platz 53. Bei den Rennen in der Arena Auf Schalke fühlte er sich dann richtig schlecht. Aber er weiß nicht, warum. „Ich habe immer nach der Ursache gesucht. Der Körper hat Grenzen gesetzt – aber ich habe es nicht kommen sehen.“

Er lässt die Weltcups in Oberhof und im tschechischen Nove Mesto aus, doch als er in Antholz wieder im Sprint startet, wird er abgeschlagen 32. – trotz fehlerfreiem Schießen. „Läuferisch bin ich richtig schlecht“, sagt er damals. Und zum ersten Mal äußert sich auch der Bundestrainer Uwe Müssiggang etwas vorsichtiger zu Greis’ WM-Chancen. „Sein Anspruch ist es, eine Verstärkung für die Mannschaft zu sein. Und er ist kritischer mit sich selbst als wir mit ihm“, sagt der 60-Jährige. „Aber Michi will in Ruhpolding nicht einfach nur teilnehmen. Wenn er die Chance auf das Podium nicht sieht, wird er mehr mit sich ins Gericht gehen.“

Genau das tut Greis wenig später. Weil ihn nun zusätzlich Infekte plagen, verzichtet er auch auf die Weltcups in Oslo und Kontiolahti, die letzten vor den Titelkämpfen. Und er beginnt zu zweifeln, denn er fühlte sich irgendwo zwischen Pfeiffer’schem Drüsenfieber und Burn-out. „Es war wie Folter. Ich war mit meinem Latein am Ende“, sagt er. Nicht nur körperlich, auch psychisch ist diese Zeit eine große Belastung – Greis spürt nun ebenso, welche Nachteile man als Einzelsportler hat.

Der letzte Motivationsschub

„Keiner kann sich in einen hineinfühlen. Gewinnen ist leicht, und wenn es läuft, sind alle da und applaudieren“, sagt Greis. „Aber wenn man Probleme hat, ist es knochenhart. Und die ganze Zeit hatte ich die Gedanken im Kopf: Warum tue ich mir das an?“ Auch die WM hat er zu diesem Zeitpunkt innerlich schon fast abgehakt. „Ich hatte einfach keine Lust mehr.“

Ständig überlegt Greis, wie er die Titelkämpfe denn nun angehen soll. „Es gab nur drei Varianten: angreifen, schaulaufen oder es ganz sein lassen. Ich habe mich dann doch für die erste entschieden.“ Bei seinem Coach Fritz Fischer, der schon zuvor immer wieder versucht hatte, ihn aufzumuntern, rennt Greis damit offene Türen ein. Gemeinsam trainieren sie hart auf der WM-Strecke, und in Ridnaun gewinnt er schließlich die Gewissheit, dass er bei den Titelkämpfen mithalten kann. „Ich bin froh, dass ich im Trainingslager kein Gnadenbrot bekommen habe, sondern mich beweisen musste“, sagt Greis.

Dieser letzte Motivationsschub, es doch noch einmal zu versuchen, hat wohl auch mit dem besonderen Umstand zu tun, dass die WM für Greis eine echte Heim-WM ist. Er wohnt seit einiger Zeit in Ruhpolding, hat miterlebt, wie die Begeisterung im Ort für die Titelkämpfe gestiegen ist. „Und jetzt habe ich extra meine Freundin mit drei Kochtöpfen einfliegen lassen, damit sie mich gut versorgt“, sagt er. Solche Sprüche zeigen, Greis glaubt wieder an sich.

Fischer ist sogar so überzeugt von seinem Schützling, dass er ihm „eine gute Platzierung“ zutraut. So weit will sich Greis nicht aus dem Fenster lehnen: „Ich weiß nicht, ob ich der Alte bin.“ Fragt sich nur, ob er damit den Olympiasieger meint oder den bis jetzt schwachen Greis dieser Saison.