Die Hoffnung für Imker heißt Lithiumchlorid: Forscher der Universität Hohenheim in Stuttgart haben ein wirksames, ungefährliches und preiswertes Medikament entdeckt, das Bienen gegen die gefürchtete Varroa-Milbe schützen kann.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Für Imker ist die Nachricht eine Sensation: Forschern der Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim in Stuttgart ist es nach eigener Aussage erstmals gelungen, ein potenzielles Medikament gegen die gefürchtete Varroa-Milbe zu entwickeln. Laut Peter Rosenkranz, dem Leiter der Landesanstalt, können die befallenen Bienenstöcke mit geringem Arbeitsaufwand über die Fütterung von dem 1,1 Millimeter langen und 1,6 Millimeter breiten Parasiten befreien werden.

 

Bienen-Todfeind Varroa-Milbe

„Varroa destructor“, die Varroa-Milbe, zählt weltweit zu den gefährlichsten Feinden der Honigbiene: innerhalb von ein bis drei Jahren kann sie ein Bienenvolk komplett ausrotten. Bislang mussten Imker befallene Bienenstöcke mit organischen Säuren wie Ameisensäure und Oxalsäure oder chemisch hergestellten Milbenbekämpfungsmitteln behandeln, die allerdings Resistenzprobleme und Rückstände im Honig verursachen.

Wundermittel Lithiumchlorid?

Bei der Substanz handelt es sich nach Aussage der Hohenheimer Forscher um Lithiumchlorid. Nach über 25 Jahren Forschung stehe damit erstmals ein neuer Wirkstoff im weltweiten Kampf gegen die Varroa-Milbe zur Verfügung, der völlig anders wirkt als bisherige Mittel, erklärt Biene-Experte Rosenkranz.

Derzeit würden bereits Gespräche mit Unternehmen mit dem Ziel einer Produktentwicklung und Zulassung laufen. Ihre ersten Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in der aktuellen Online-Ausgabe der Zeitschrift „Scientific Report“.

„Ein günstiger, einfach anzuwendender Wirkstoff gegen die gefährliche Milbe, der nach dem aktuellen Kenntnisstand der Forscher keine gefährlichen Nebenwirkungen für Bienen, Imker oder Verbraucher hat und in der Natur reichlich vorkommt: Das versprechen die Ergebnisse des Forschungsprojektes“, heißt es in der Pressemitteilung der Universität Hohenheim.

Mit Lithiumchlorid habe das Forscherteam einen Wirkstoff für ein solches Medikament gefunden, der leicht zu beschaffen und zu verabreichen ist. Auch für eine Ablagerung im Honig gebe es bislang keine Anzeichen.

Bewährtes Mittel bei Depressionen

Bei Lithiumchlorid (LiCl) handelt es sich das Lithiumsalz der Chlorwasserstoffsäure, das farblose Kristalle bildet. Lithiumsalze werden bereits seit der Mitte des 20. Jahrhunderts als Medikament in der Psychiatrie eingesetzt und sind in der Anwendung bezüglich Nebenwirkungen, Verträglichkeiten und Wechselwirkungen sehr gut erforscht.

In der Lithiumtherapie wird Lithium in Form einiger seiner Salze auch bei einer bipolaren Störung, Manie oder Depressionen einerseits als Phasenprophylaktikum, andererseits auch zur Steigerung der Wirksamkeit in Verbindung mit Antidepressiva eingesetzt.

Einfach zu handhaben, in rauen Mengen verfügbar

Wie simpel die Anwendung des Mittels ist, erklärt Peter Rosenkranz: „Lithiumchlorid kann man Bienen in Zuckerwasser aufgelöst füttern. Bei unseren Versuchen haben bereits geringe Mengen der Salzlösung ausgereicht, um innerhalb weniger Tage die auf den Bienen aufsitzenden Milben abzutöten – ohne Nebenwirkungen für die Bienen.“

Hinzu kommt: An dem Leichtmetall besteht kein Mangel. Die weltweiten Vorräte werden auf über 40 Millionen Tonnen geschätzt. Lithiumchlorid-Salz findet sich in Salzlaugen, Salzseen und Heilquellen.

Zufällige Entdeckung

Laut Peter Rosenkranz haben die Hohenheimer Wissenschaftler einen „viel komplexeren Ansatz“ verfolgt, der auf biogenetischen Verfahren basiert. Der Ansatz mit Hilfe des sogenannten RNA-Interferenz-Verfahren (RANAI) zeigte Erfolg.

Und dann passierte es: „Bei Kontrollexperimenten konnten wir auch mit unspezifischen RNA-Bruchstücken, die weder bei den Bienen noch bei den Milben ein genetisches Ziel finden sollten, die Milben abtöten“, berichtet Rosenkranz. „Etwas in unserer ‚Genmischung‘ bekam den Milben nicht, während die Bienen keinen Schaden nahmen.“

Fast zwei Jahre dauerte es, bis das Lithiumchlorid als „geheime Wunderwaffe gegen den Parasiten“ gefunden war. Die RNAi-Methode würde funktionieren, wäre allerdings teuer und aufwendig, so Rosenkranz. „Lithiumchlorid hingegen ist einfach herzustellen, relativ preiswert, und unkompliziert zu lagern.“

Die häufigsten Ursachen für das Bienenstreben

Steckbrief : Varroa-Milbe

1977 wurde die Varroa-Milbe nach Europa eingeschleppt. Der 1,6 Millimeter große Parasit hat sich zum Hauptfeind der Honigbiene entwickelt. Die Milbe beißt sich bei ihr fest und saugt sie aus. Vor allem Larven sind von den Attacken betroffen. Von der Ohe: „Der Hauptfaktor für das Massensterben der Bienenvölker ist die Varroa-Milbe. Es scheint, dass sie immer aggressiver wird.“ Varroa-Milben machen offenbar einen Zyklus durch, was die Intervalle beim Bienensterben erklären würde. Nach Wintern, in denen es große Verluste gab, bricht die Population der Milbe ein.

Colony Collapse Disorder

US-Forscher haben dem massenhaften Bienensterben der vergangenen Jahre den Namen Colony Collapse Disorder (CCD – Völkerkollaps) gegeben. Nach dem Winter fehlt ein Großteil der erwachsenen Tiere im Stock. Auch in der näheren Umgebung sind keine toten Bienen zu finden. Nur die Königin, Brut und Jungbienen, die von Parasiten, Pilzen und Viren befallen sind, befinden sich im Stock.

Viren und Pilzehttps://www.uni-hohenheim.de/organisation/person/priv-doz-dr-rer-nat-peter-rosenkranz

Als weitere Faktoren für das Sterben der Honigbienen kommen Viren und Pilze in Frage. Sie dringen in die Darmepithelzellen der Bienen ein und zersetzen deren Eingeweide. Die von Bieneninstituten untersuchten Völker zeigen neben einem starken Varroa-Befall auch virale Sekundärerkrankungen. Offensichtlich haben die Mikroben leichtes Spiel, wenn das Immunsystem geschwächt ist.

Mangelernährung

Für den Leiter des Laves-Instituts für Bienenkunde in Celle, Werner von der Ohe, ist die schlechte Ernährungsgrundlage mitentscheidend. Proteine und Vitamine, die über Blütenpollen aufgenommen werden, tragen zur Robustheit der Bienen bei. Der Mangel an pollen- und nektarliefernden Trachten, transgene Pflanzen und einseitige Ernährung führen zum Umwelt- und Ernährungsstress, der die Tiere schwächt.

Manfred Hederer, Präsident des Deutschen Berufs- und Erwerbs-Imkerbundes: „Die Bienen haben nichts mehr zu fressen. Und das, was sie haben, ist zu einseitig.“

Pestizide

Der Wirkstoff Clothianidin gehört zur Gruppe der Neonicotinoide, einem Pestizid, das als Kontakt- und Fressgift wirkt. Laut Hederer sind diese Mittel, die von Bayer Crop-Science vermarktet werden, „für Bienen 500- bis 700-mal giftiger als DDT“. Rund 30 000 Tonnen Pestizide werden in Deutschland jährlich auf Äcker und Obstplantagen gespritzt.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) resümiert: „Die Hinweise verdichten sich, dass der Einsatz hochwirksamer und bienengefährlicher Neonicotinoide eine entscheidende Rolle in dieser katastrophalen Entwicklung spielt.“

Hederer, der 4500 Berufsimker vertritt, fordert seit langem ein Verbot der Gifte. „Jedesmal wenn ein neuer Wirkstoff kam, ging die Anzahl der Bienenvölker zurück. Neonicotinoide kommen überall vor. Die Belastung der Umwelt wird immer größer.“