Kann man als Stromverbraucher etwas gegen Insektensterben und für die Artenvielfalt tun? Ein neues Projekt auf der Schwäbischen Alb will das möglich machen.

Münsingen-Buttenhausen - Sattes Brummen und vielstimmiges Summen, wenn man an einer blühenden Wiese vorbeikommt – ein schönes Geräusch. Und bald soll es wieder mehr summen. Ein Projekt auf der Schwäbischen Alb will dazu beitragen – mit „Bienenstrom“. Man kann ihn neuerdings bundesweit beziehen wie andere Ökostrom-Varianten auch. Der „Bienenstrom“ ist ein gemeinsames Angebot der Stadtwerke in Nürtingen (Kreis Esslingen) und dem Biosphärengebiet Schwäbische Alb.

 

Die beiden Kooperationspartner haben ein Modell entwickelt, um auf der Schwäbischen Alb neue Blühflächen aus heimischen Wildpflanzen zu ermöglichen. Zehn landwirtschaftliche Betriebe im und um das Biosphärengebiet Schwäbische Alb machen in diesem Jahr mit, darunter das Haupt- und Landesgestüt Marbach. Auf rund 13 Hektar zwischen Blaubeuren und Tübingen, Göppingen und Hayingen entstehen die Blühflächen. Das entspreche etwa 300 Bienenstrom-Kunden, schätzt man bei den Nürtinger Stadtwerken. „Der Grundstein für Bienenstrom ist gelegt“, sagt Volkmar Klaußer, der Geschäftsführer. „Wir würden uns freuen, wenn das Projekt durch neue Kunden und Flächen in den kommenden Jahren stetig wächst.“

Ohne Zuschuss nicht machbar

Der Hintergrund des Bienenstroms: Wenn ein Landwirt Blühpflanzen statt Mais anbaut, kann er sie – genau wie den Mais und mit denselben Maschinen – im Herbst ernten und in einer Biogasanlage verwerten. Aber die Blühpflanzen bringen weniger ein als Mais. Und weil Bauern jeden Cent einzeln umdrehen müssen, sieht man bisher mehr Mais als Blühpflanzen.

Genau da wollen die Stadtwerke Nürtingen und das Biosphärengebiet ansetzen. Der Preis ihres neuen Bienenstroms enthält einen „Blühhilfe-Beitrag“, ein Cent pro Kilowattstunde ist für Bienen und Insekten gedacht. Dieses Geld fließt in einen Topf, aus dem die beteiligten Landwirte für die Umstellung von Mais auf Blumenwiesen entschädigt werden. Ein Wirtschaftsprüfer solle darauf achten, dass alles seine Richtigkeit hat, heißt es.

Hergestellt wird die Blühmischung für die Alb im fränkischen Eichenbühl nahe Aschaffenburg. Dort hat sich Saaten Zeller mit Pionierarbeit rund um Blühpflanzen für Biogas einen Namen gemacht, Die Firma kooperiert dafür mit Unis und erhielt schon Preise. Die Wirtschaftlichkeit, sagt Stefan Zeller, werde stetig besser. „Aktuell sprechen wir von etwa 30 Prozent weniger Ertrag als beim Mais. Bei der Ernte 2017 haben erste Flächen aber ebenso viel gebracht wie Mais. Wir sind auf einem guten Weg.“

Ob sich die Blühpflanzen für die Bauern dank Bienenstrom-Cent halbwegs rechnen, muss die Praxis zeigen. Denn wie immer in der Landwirtschaft hängt der Ertrag auch vom Boden sowie vom Klima ab – also Faktoren, die von Jahr zu Jahr und Feld zu Feld unterschiedlich sind. Jörg Kautt aus Immenhausen bei Tübingen hat einer der wenigen schon Erfahrungen mit der Wildpflanzenmischung gemacht. Bei ihm blühen seit vier Jahren Fenchel und Malve, Steinklee und Lichtnelke, Rainfarn und Königskerze, Buchweizen und Beifuß, Wegwarte und Färberkamille. Insgesamt 25 heimische Arten, ein- und mehrjährige. Mindestens fünf Jahre lang kann ein solches Blumenfeld stehen bleiben, es braucht weder Kunstdünger noch Pestizide.

Giftfrei, aber kein hübsches Wiesle

Doch es klingt hübscher, als es wirklich ist. Weil die Saatmischung viel Masse in die Biogasanlagen bringen soll, ragen Stauden auch mal zwei Meter und höher in die Luft. Nach der Blütezeit wird das ziemlich wüst, finden manche. „Mein Nachbar hat gelästert: Hast du dort Unkrautvermehrung betrieben?“, erzählt Kautt. Er hätte seine erste Blütenpflanzung fast wieder plattgemacht, aber es kam ihm was dazwischen. „Zum Glück. Jetzt hat sich ein gigantischer Bestand entwickelt.“

Kautt ist Mitinhaber einer Biogasanlage und Vorsitzender des Kreisbauernverbands Tübingen. Die fünf blühenden Felder seien sein Hobby, sagt er. Er schwärmt davon, wie sie sich in Biotope verwandeln: „Echt interessant, all die Insekten. Der Rosenkäfer fährt offensichtlich auf wilde Möhre ab. Es kommen viele Wildbienen.“ Er mache oft Fotos von unbekannten Tieren und google sie, „da stehe ich am Acker mit meinem Streicheltelefon“, wie er sein Smartphone nennt. Der Jäger erzählte ihm, dass Rehe ihre Kitze in der unberührten Fläche zwischen den Pflanzen versteckten.

Mit Bienenstrom Honig schleudern

Und die Imker? Die begrüßen das Projekt ausdrücklich. Walter Haefeker ist der Präsident des Europäischen Berufsimkerverbands. Der in Seeshaupt am Starnberger See ansässige Imker trommelt seit Jahren für „Flower Power“, mit ganz ähnlichen Grundgedanken. Seit 2012 suchte er in der Energiewirtschaft nach Partnern für ein bienen- und insektenfreundliches Stromprodukt. Auf der Schwäbischen Alb sieht er nun erstmals etwas, das den Namen Bienenstrom verdient. „Wir begleiten aktiv dieses Projekt“, sagt er. „

Er ist optimistisch, dass gerade Imker künftig diesen Strom nutzen. „Die meisten Honigschleudern haben ja Elektro-Antrieb. Das hat doch was: Honig aus eigener Imkerei – geschleudert mit Bienenstrom.“ Er ist selbstredend schon Bienenstrom-Kunde. Rückenwind kommt ebenso von Christoph Koch, dem Landesgeschäftsführer für Baden-Württemberg beim Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund. „Das unterstützen wir!“ sagt er. „Am besten verkauft man diesen Strom an jene Leute, die in Städten im Mehrfamilienhaus leben, ohne Garten, aber eigentlich gern was für Natur und Insekten täten.“

Hauptsache, kein Mais

Alternative
Auch anderswo macht man Biogas aus Blühpflanzen – mit der Silphie, einem gelben Korbblütler amerikanischer Abstammung. Sie wird mehr als zwei Meter hoch. Ihr Saatgut wird von der Energiepark Hahnennest im oberschwäbischen Ostrach vertrieben. Wirtschaftlich hat die Silphie klar die Nase vorn: „Nach etwa fünf Jahren kann sie denselben Deckungsbeitrag wie Mais erreichen“, sagt die Firmensprecherin Alexandra Kipp.

Bedenken
„Uns Imkern ist Silphie zehnmal lieber als Mais. Tausendmal lieber ist mir aber Bienenstrom von Blumenwiesen mit einheimischen Pflanzen“, sagt Christoph Koch, der Landesgeschäftsführer für Baden-Württemberg beim Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund. Walter Haefeker, der Präsident des Europäischen Berufsimkerverbands, sagt: „Wir wollen ja nicht unbedingt eine Monokultur durch die nächste ersetzen.“