An einem Frühsommerabend 1900 hat Christian Birnbaum seine schwangere Geliebte Katharina Rau getötet. Die Ludwigsburgerin Christa Lieb ist auf den Fall in alten Zeitungen gestoßen und hat die Prozessakten in einem Buch ausgewertet.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Ingersheim - Er war ein Stalker. Er bedrängte sein Opfer. Er lauerte der jungen Frau auf. Wenn sie sich auf sein zunehmend gewalttätigeres Werben dann doch einließ, benutzte er sie nur. Dabei war Katharina Rau (30) längst schwanger von dem Mann, der noch mit einer anderen verheiratet war und einen neunjährigen Sohn hatte. So etwas würde man heute sexuelle Nötigung nennen oder auch Vergewaltigung. Aber Christian Birnbaums Opfer lebte in einer anderen Welt. Im Jahr 1900 waren Frauen nicht so selbstbewusst, um sich Übergriffen wie denen des 40-jährigen Arbeiters aus der Weller’schen Ölfabrik zu Bietigheim selbstbewusst entgegenzustellen.

 

Ein Streit mit tödlichem Ausgang

Und so kam es am 8. Juni 1900 zu einer Katastrophe mit Ankündigung. Auf dem freien Feld, auf dem Fußweg nach Großingersheim, gerieten Katharina Rau und Christian Birnbaum in den Abendstunden miteinander in Streit, nachdem sie sich Monate nicht gesehen hatten. Es war noch hell, und es gab Zeugen. Katharina hatte ihren letzten Tag als Fabrikarbeiterin hinter sich. In der Tasche hatte sie ihren Lohn. Sie bereitete sich auf ein Leben als ledige Mutter zweier Kinder vor. Der Vater ihres ungeborenen Kindes, Christian Birnhaum, tat an diesem Abend das Unvorstellbare: Mit einem Messer schlitzte er der Hochschwangeren den Bauch auf. Katharina Rau starb kurz nach der Tat. Ihr Kind konnte gerettet und von der Oma versorgt werden. Dennoch starb auch der kleine Junge, den seine Großmutter Ernst taufte, knapp vier Wochen nach der Tat an Brechdurchfall.

Christa Lieb entdeckte dieses vergessene Drama, als sie die Tageszeitung von damals durchforstete, um eine Chronik zu erstellen. Christa Lieb ging die Zeitungsnotiz nicht mehr aus dem Sinn. Die getötete junge Frau sollte nicht einfach so wieder in der Geschichte versinken. Sie wollte mehr wissen. Im Staatsarchiv Ludwigsburg fand sie die zugehörige Prozessakte des Amtsgerichts Besigheim. Sie offenbarte eine Welt, in der es wenig Sicherheit gab, und in der offenbar kein Platz für echte Zärtlichkeit war. Christa Lieb ergänzt in ihrem Buch „Die Geschichte der Katharina R. – Ein Kriminalfall aus dem Jahr 1900 im Oberamt Besigheim“ die Prozessakte um erzählerische Perspektiven. Darin versucht sie, Christian Birnbaums Innensicht zu beschreiben. Der Rest sind Vernehmungsprotokolle, eine Abschrift der Leichenschau und das psychiatrische Gutachten des Täters.

Sechs Jahre Haft für den Täter

Die Gerichtsakte enthält auch Details zur Flucht des Täters nach der Tat. Am Morgen danach machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Ludwigsburg. In der Kirchstraße wurde er schließlich verhaftet. Das Gutachten zu seinem Geisteszustand attestiert dem Epileptiker Birnbaum eine „transitorische Geistesstörung, . . in der die freie Willensbestimmung ausgeschlossen war“. Das Königliche Schwurgericht Heilbronn verurteilte Christian Birnbaum am 12. Januar 1901 wegen Totschlags zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren.