Wenn sich in der Technik Neues tut, lässt sich das unter Umständen schon recht früh an der Zahl der Patente ablesen, die auf einem Gebiet beantragt und erteilt werden. Das FIZ Karlsruhe arbeitet daran, den Bereich des Trend Mining in Patenten zu verstärken.

Stuttgart - Wenn ein Wissenschaftler glaubt, eine technische Entdeckung gemacht zu haben, muss er, bevor er damit an die Öffentlichkeit tritt, überprüfen, ob nicht andere vor ihm auf die gleiche Idee gekommen sind. Und wenn ein Unternehmen aus einer Erfindung seiner Forschungsabteilung ein Produkt machen will, tut es gut daran zu prüfen, ob es andere Unternehmen gibt, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten und deshalb entweder dummerweise eine Nasenlänge voraus sind oder sich sogar als Partner bei der Weiterentwicklung anbieten.

 

In solchen Fällen werden sich Forscher und Entwickler in der wissenschaftlichen Literatur zu ihrem Thema umsehen. Vor allem aber werden sie Patentdatenbanken befragen. Dabei bewegen sie sich heute auf dem Feld gewaltiger Datenmengen, die weltweit verteilt liegen und nur mit aufwendigen Verfahren zu erschließen sind. Patentrecherche ist ein Aspekt des breiten Feldes von Big Data – ein Aspekt, bei dem es nicht um das Schnüffeln in privaten Daten von Telefonkunden oder die Verhaltensanalyse von Supermarktkunden geht, sondern darum, Informationen nutzbar zu machen, die ohnehin öffentlich, aber auf besondere Weise unübersichtlich sind.

Anfangs waren Patente öffentliche Bekanntmachungen von Landesherren, die einem Untertanen ein Recht oder Monopol vergaben, etwa zum Handel mit bestimmten Produkten oder, wie auch heute, zur alleinigen Verwertung einer technischen Neuerung. Ein öffentliches Schreiben des Herrschers, das Patent, sollten alle Untertanen zur Kenntnis nehmen, vor allem aber jene, die davon betroffen waren.

80 Millionen Patentdokumente allein in Europa

Heute kann kaum noch jemand auf dem Laufenden sein, was in seinem Arbeitsbereich schon patentiert ist oder den Patentämtern als Antrag vorliegt. Allein das Europäische Patentamt (Epa), dessen Entscheidungen nur für Europa gelten, verwaltet nach eigenen Angaben einen Bestand von fast 80 Millionen Patentdokumenten. Jedes Jahr werden annähernd 260 000 Patentanträge bearbeitet. Viele davon werden abgelehnt oder zurückgezogen. 2012 erteilte das Amt 66 000 Patente.

Ein Patent schützt eine Erfindung für meist zwanzig Jahre. Doch darin erschöpft sich sein Sinn nicht. Genauso wichtig wie das Schutzrecht sei, so das Epa, „dass alle Patentdokumente veröffentlicht werden. Das gesamte technische Wissen steht somit der Allgemeinheit frei zur Verfügung.“ Siebzig bis neunzig Prozent des weltweit veröffentlichten technischen Wissens finde sich ausschließlich in Patentpublikationen, schätzen Experten. Damit sind Patentdokumente für die technische Recherche sogar wichtiger als Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Medien.

Auf die zitierte Expertenschätzung beruft sich das FIZ Karlsruhe, das Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur, wenn es eine seiner wichtigsten Dienstleistungen vorstellt: die internationale Suche nach Patentinformationen. Zwar kann jeder über die Patentämter der einzelnen Länder oder sogar in gewissem Umfang über Google auf die Patentsuche gehen. Doch das FIZ Karlsruhe stellt über das Online-Portal STN International den Zugang zu 150 Datenbanken weltweit mit mehr als einer Milliarde Dokumenten bereit. Gegründet wurde das Institut 1977 als „Fachinformationszentrum Energie, Physik, Mathematik“ auf dem Gelände des damaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe. Seitdem befasst sich das Institut damit, Informationen für die Wissenschaft aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen. Heute ist von dem Institutsnamen nur die Abkürzung FIZ übrig geblieben.

Nach Techniktrends graben

In einem neuen Forschungsprojekt arbeitet das FIZ nun zusammen mit der Universität Hildesheim daran, den Kunden nicht nur Patentschriften zu einem Thema zu liefern, sondern auch Forschungs- und Entwicklungstrends zu erkennen. Das Projekt „Trend Mining für die Wissenschaft“ erhält Fordermittel von der Leibniz-Gemeinschaft und ist auf drei Jahre angelegt. Trend Mining, sagt Projektleiter Michael Schwantner, wird bisher schon in großen Textmengen aus Zeitungsartikeln oder sozialen Medien betrieben. Im Prinzip sei Text Mining ein „Wörterzählen“: wenn bestimmte Begriffe – wie etwa „Elektroauto“ – im Verlauf der Zeit in einer Textmenge häufiger auftauchen, oder wenn neue Begriffe ins Spiel kommen, „dann könnte das ein Hinweis auf einen Trend sein“, sagt der Wissenschaftler, der beim FIZ die Abteilung Informationserschließung und Retrieval IT, Entwicklung und Angewandte Forschung leitet.

Die besondere Herausforderung seines Projekts sei die spezielle Sprache von Patenten. Es handelt sich um eine technische Sprache, zugleich eine juristische und nicht zuletzt eine, die Sachverhalte oft sehr indirekt ausdrückt.

Schwantner konstruiert ein Beispiel: Ein Unternehmen, das einen Kugelschreiber erfunden hat, könnte diesen als zylindrisches Objekt beschreiben, das am einen Ende einen Knopf hat, auf den man drücken kann, damit am anderen Ende die Mine herauskommt. Doch wenn dies so patentiert würde, könnte ein anderer Erfinder einen eckigen Kugelschreiber bauen und patentieren lassen, dessen Mine man mit einem Hebel oder einem Drehknopf bewegt. Um dies zu verhindern, wird der ursprüngliche Erfinder eine Beschreibung suchen „die alle möglichen Erscheinungsformen enthält“.

Die Formulierungen, die dabei entstehen, in einer automatischen Prozedur zu entschlüsseln und darin verborgene Trends zu erkennen, ist die Nuss, die Schwantner und seine Kollegen in den nächsten drei Jahren knacken wollen. Das Projekt beschränke sich vorerst auf englische Patenttexte, erläutert Schwantner.

Ein Thema wird plötzlich zum Renner

Doch auch ohne dieses Projekt bietet das FIZ bereits Hilfe beim Auffinden von Trends an. So lässt sich zum Beispiel feststellen, dass sich im Jahr 2012 die Zahl der Patente zur vielversprechenden Speichertechnik der Redox-Flow-Batterien nahezu verdoppelt hat. Da ein Patent in der Regel 18 Monate nach der Einreichung veröffentlicht wird, weist dieser Trend auf den März 2011 hin, als nach der Katastrophe von Fukushima nicht nur in Deutschland das Interesse an erneuerbaren Energien explosionsartig zunahm.

Die Verzögerung von 18 Monaten zwischen Einreichung und Veröffentlichung eines Patents hat schon vor Jahren, 2008, Peter Neuhäuser vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe als Nachteil für die Trendforschung ausgemacht. In einer Studie über Patentanmeldung am Beispiel des zeitweise modischen Themas „Ubiquitous Computing“ (deutsch etwa: Überall-Computer) hat er deshalb nicht nur erteilte Patente berücksichtigt, sondern auch Patentanmeldungen. Dadurch werde, so sein Argument, die Trendermittlung aktueller, und außerdem habe man auch Patente im Blick, die der Anmelder gar nicht in erster Linie erteilt haben wollte, sondern die eine strategische Funktion hatten: Sie sollten andere abhalten, ein vergleichbares Patent anzumelden.

Geschützte Erfindungen

Patente
Wer glaubt, eine Erfindung gemacht zu haben, kann seine Ansprüche beschreiben und als Patentschrift einreichen. Nur ein kleiner Teil solcher Anträge führt nach einer Prüfung dazu, dass ein Patent erteilt wird.

Datenbanken
Beim europäischen Patentamt lagern fast 80 Millionen Patentdokumente. Unternehmen, die über Europas Grenzen hinaus aktiv sind, müssen auch außereuropäische Patentdatenbanken befragen.

Trends
Wer beobachten will, woran die Konkurrenz arbeitet, kann an Informationen über Trends bei Patentanmeldungen interessiert sein. Mit Methoden des Data Mining lassen sich Patentbestände darauf durchsuchen.