„Big Data“, das ist der Begriff für eine Revolution der Informationstechnologie, die unser aller Leben verändert. Wir beleuchten, wie die vernetzte Gesellschaft der staatlichen Überwachung in die Hände spielt.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Wem für den Begriff Big Data die Vorstellungskraft gefehlt hat, dem hat Edward Snowden in diesem Jahr kräftig nachgeholfen. Fünf Milliarden Positionsdaten von Mobiltelefonen greift der US-Geheimdienst NSA beispielsweise ab – jeden Tag. Täglich laufen an dessen Datenzapfstellen, zu denen beispielsweise Internetknoten oder Unterseekabel gehören, insgesamt 29 Petabytes an Daten auf. Das ist eine Zahl mit 15 Nullen oder das sind umgerechnet 29 Millionen Gigabyte.

 

Doch Abzapfen ist das eine, die Auswertung das andere. Die NSA schafft es dank moderner Technologie aus jeder Million abgegriffener Nutzerdaten genau die 250 Datensätze herauszufiltern, die für den Geheimdienst interessant sind. Das ist die eigentliche Revolution. Ein Überwachungsapparat wie derjenige der DDR-Stasi ertrank noch unter der selbst erzeugten Datenflut: Das Wendejahr 1989 überraschte die Stasi genauso wie den Rest der Welt.

Die Bürger erzeugen von sich aus Daten über alle Lebenslagen

Moderne Computer sind hingegen hocheffiziente Sortiermaschinen, die Muster erkennen, die der menschlichen Analyse entgehen. Der im Zuge der NSA-Affäre ständig gebrauchte Begriff von der Datenschnüffelei führt bei genauerer Betrachtung in die Irre. Der DDR-Geheimdienst musste ganze Rudel von Agenten ansetzen, um über einzelne Menschen möglichst viele Informationen zu sammeln. Der Überwachungsstaat von heute braucht die vernetzte Gesellschaft nur an zentralen Knotenpunkten abzuzapfen. Die Bürger erzeugen von sich aus Daten über alle Lebenslagen.

Und noch etwas hat sich verändert: Datenmassen sind kein Versteck mehr. Nicht nur Datenschutzrichtlinien haben bisher die Privatsphäre geschützt, sondern oft die schlichte Tatsache, dass die Daten so unübersichtlich und verzettelt abgelegt waren, dass sie mit vertretbarem Aufwand nicht mehr zu heben waren. Die technischen Entwicklungen, die plakativ unter der Überschrift Big Data zusammengefasst werden, erlauben es jetzt, selbst weit verstreute Puzzleteile zusammenfügen. Heute können deshalb schon bei einer Datenübertragung aufgegriffene Fitzelchen am Ende ein Gesamtbild ergeben.

Big Data beginnt im Kleinen

Nicht nur Bürgerrechtler, IT-Experten und Intellektuelle fordern spätestens seit den Snowden-Enthüllungen bessere Schutzmechanismen und eine neue Definition der Bürgerrechte im digitalen Zeitalter. Doch hinter den großen Themen wie der US-Spionage oder der Vorratsdatenspeicherung, sollte man nicht vergessen, dass Big Data im Kleinen beginnt. Kreditkartenbetrug beispielsweise hinterlässt typische verräterische Datenspuren. Banken und Polizei können den Tätern in der Masse der Kontobewegungen schnell auf die Spur kommen, wenn sie diese systematisch auswerten – auf die Gefahr hin, dass schon bei einer ungewöhnlichen Geldabhebung oder schon bei einem unüblichen Kauf die Warnlichter angehen. Spätestens wenn die Bank anruft und nach der auffälligen Bestellung auf einer Webseite fragt, relativiert sich das zunächst beruhigende Gefühl, dass alle verdächtigen Bewegungen auf dem eigenen Konto immer im Blick sind.

Wie soll der Staat darauf reagieren, dass sich ein wachsender Teil der Kriminalität ins Netz verlagert? Mit traditionellen Methoden ist dieser Bedrohung nicht beizukommen. Es geht auch hier um riesige Mengen an Daten, die abgefangen, gefiltert und analysiert werden müssen. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen verwendet beispielsweise Big-Data-Analysen, um Phishing-Attacken auf die Spur zu kommen. Bei diesen Massenangriffen werden Nutzer im Internet dazu aufgefordert, zum Beispiel das Passwort für ihre Bankkarte zu offenbaren.

Es geht, wie bei Big Data üblich, um die Stecknadel im Heuhaufen

Die Polizei benutzt dabei genau dieselben Techniken, mit denen auch die NSA nach so genannten unstrukturierten Daten schürft: Sie scannt dafür auch im Internet zugängliche Textschnipsel, Audiodateien und Chat-Protokolle. Es geht, wie bei Big Data üblich, um die Stecknadel im Heuhaufen. Das Suchergebnis begutachtet am Ende immerhin ein Mensch – der dann letztlich Unbescholtene von Verdächtigen trennen soll. Ein anderes Beispiel: Der IT-Anbieter IBM wirbt zurzeit für ein System, mit dem sich Kriminalitätsstatistiken schneller und präziser auswerten lassen.

Die Kantonspolizei Genf arbeitet mit der Polizeisoftware namens Data-Pol. „So können innerhalb kürzester Frist bestimmte Ereignisse identifiziert werden, etwa eine Welle von Kleindelikten in Zusammenhang mit der Eröffnung eines Einkaufszentrums oder das saisonale Eintreffen von Betrügern, die in den touristischen Hauptadern der Stadt agieren“, so beschreibt IBM die Möglichkeiten der Software. Straftaten können miteinander verglichen werden, Verbrechensschwerpunkte werden transparent, so dass die Polizei exakt an den Brennpunkten Wache schieben kann.

Die NSA will zahllose Terroranschläge im Keim unterbunden haben

Traditionelle Kriminalistik folgt den Spuren einer Tat. Big Data erhebt hingegen den Anspruch, bereits die Absicht zur Tat zu erkennen. Die NSA beteuert, dass sie zahllose Terroranschläge im Keim unterbunden habe. Doch wie weit darf der Staat seine Mutmaßungen über das künftige Verhalten von Menschen treiben? Beispiele aus der Polizeiarbeit in den USA zeigen, dass als Folge moderner Datenanalyse einzelne Quartiere oder Bevölkerungsgruppen ins Visier geraten. Nun sind es keine Vorurteile mehr, sondern mathematische Analysen, die bestimmte Menschen stigmatisieren. Ist dieser Preis den Gewinn an Sicherheit wert? Die Debatte über die ethischen und gesellschaftlichen Folgen der modernen Datenwelt hat erst begonnen.