Menschenhandel beschäftigt die Staatsanwaltschaft Stuttgart immer wieder. In ihrer Jahresbilanz bemängelt sie Schwachstellen in der Rechtsprechung.

Stuttgart - Das Haus, in dem die sieben polnische Arbeiter gelebt haben, gleicht einer Müllhalde: „Ein verdrecktes, abbruchreifes Gebäude“, kommentiert der Erste Staatsanwalt Oliver Henzler die Fotos von der Durchsuchung vergangenen August, die er via Projektor an die Wand wirft. Ein Ehepaar aus dem Landkreis Böblingen soll die Menschen über zwölf Jahre systematisch ausgebeutet haben: bis zu 20 Stunden am Tag, an sechs Tagen die Woche, hätten sie Kartoffeln schälen müssen. Von den 30 Euro Tageslohn haben sie angeblich nichts gesehen. „Ich hätte nicht für möglich gehalten, dass solche Dinge in Deutschland passieren“, sagt Henzler.

 

Noch in diesem Jahr soll Anklage gegen das Paar erhoben werden, unter anderem wegen Menschenhandels. Anders als der Begriff es vermuten ließe, steht dabei die Ausbeutung von Arbeitskraft im Fokus. Dieser Straftatbestand ist dann erfüllt, wenn die Zwangslage von Menschen ausgenutzt wird und sie zu Sklaverei oder zu einer Arbeit gebracht werden, die in auffälligem Missverhältnis zu den Bedingungen anderer Arbeitnehmer steht.

„Niemand lässt sich freiwillig ausbeuten“

Gut gemeint, schlecht gemacht, bemängelt Henzler: denn wer während seiner ausbeuterischen Tätigkeit zum Beispiel Heimaturlaub (meist in Osteuropa) macht, der wird laut Gesetz nicht vom Täter zur Arbeit gezwungen – und eine Verurteilung wegen Menschenhandels rückt in die Ferne. Nur: „Niemand lässt sich freiwillig ausbeuten.“ Deswegen fordert Henzler: „Erfasst werden müssen auch Verhältnisse im Heimatland. Also Fälle, bei denen Zwang nicht erst vom Täter in Deutschland ausgeübt wird.“

Etwas leichter war der Nachweis im Pussy-Club-Verfahren um Flatratebordelle: vorwiegend aus Rumänien und Bulgarien stammende Prostituierte mussten Dutzende Männer am Tag bedienen. In mehreren Verfahren wurden die Angeklagten wegen Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung verurteilt.

Dieser Aufsehen erregende Prozess war nur einer, der 2011 verhandelt wurde. Knapp 102 000 Verfahren sind vergangenes Jahr bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingegangen, genau so viele wie 2010. Weil sich hinter manchen Verfahren mehrere Beschuldigte verbergen, ermittelten die 150 Staatsanwälte 2011 in Summe gegen 120 304 Beschuldigte.

Polizei mit mehr Kapazitäten

Allgemeine Strafsachen wie Körperverletzungen oder Diebstähle machen dabei das Gros aus, Sexualdelikte stehen an vierter Stelle. Hier gibt es ein deutliches Plus von 15 Prozent gegenüber 2010, was die Staatsanwaltschaft mit Schwankungen bei der Internetpornografie begründet. Riesige Datenmengen müssen dafür ausgewertet werden; gestiegene Kapazitäten bei der Polizei hätten zu mehr Verfolgungen geführt. Unter anderem ging den Ermittlern 2011 so als Zufallstreffer der mutmaßliche Mörder von Tobias aus Weil im Schönbuch ins Netz, gegen den seit Anfang März am Landgericht verhandelt wird.

Darüber hinaus beschäftigt Stuttgart 21 die Ermittler weiter: bisher sind rund 1800 Strafverfahren gegen Demonstranten wie Polizeibeamte eingegangen. „Der ,schwarze Donnerstag‘ muss in nicht kleinen Mengen aufgearbeitet werden“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Siegfried Mahler.