Der CDU-Parteichef und Fraktionsführer hat seine Partei bundespolitisch wieder geschäftsmäßig gemacht – aber die Modernisierung kommt nicht voran. Eine Jahresbilanz.

In den bundesweiten Umfragen liegt die Union nahe der 30-Prozent-Grenze einsam an der Spitze. Das ist die gängige Maßeinheit, mit der man den Erfolg der Partei misst. Und den Erfolg ihres Chefs Friedrich Merz, denn er ist das Zugpferd: Parteivorsitzender und Fraktionschef im Bundestag. Hält man die aktuellen Umfragewerte vor den Hintergrund der desaströs verlaufenen Bundestagswahl, bei der die Union 48 Sitze verloren hatte und in die Opposition stürzte, leuchten die Zahlen um so heller. Doch Umfragen sind das eine, Wahlergebnisse das andere. Jüngst hatten die Wähler in Niedersachsen das Wort. Merz hatte die Abstimmung zu einer Denkzettelwahl für die Bundesregierung und einer kleinen Bundestagswahl machen wollen. Doch die CDU holte das schlechteste Wahlergebnis seit 1959.

 

Langer Anlauf an die Spitze

Ist die CDU also wirklich weitergekommen mit dem Mann, der einen so langen Anlauf an die Spitze der Partei nehmen musste? Im Bundestag macht er eine glänzende Figur. Rhetorisch geschliffen liefert er sich hörenswerte Rededuelle mit dem durch den Oppositionsführer oft sichtlich aufgestachelten Kanzler. Merz kann scharf formulieren, aber er gibt nicht den Scharfmacher.

Kurz nach seiner Wahl zum Fraktionschef überfielen Putins Truppen die Ukraine. Seither ist auch Deutschland im Krisenmodus. Da muss die größte Oppositionspartei zeigen, dass sie staatstragend sein kann. Merz trägt das Sondervermögen für die Bundeswehr von Anfang an mit, bei Einwänden im Detail. Das gilt im Prinzip auch für die zahlreichen Schutzschirme, die die Ampel aufspannt – von der Industrie bis zu den Krankenhäusern. Mitunter kann Merz sogar zeigen, dass es auf die Union ankommt, etwa bei der Einführung des Bürgergeldes – wobei sie über den Bundesrat Korrekturen erreichte.

Scharfe Formulierungen, aber kein Scharfmacher

Reicht das? Friedrich Merz hat seine Partei wieder geschäftsfähig gemacht. Aber vor allem muss er sich selbst geschäftsfähig machen. „Es ist sein Lebensziel, und daran orientiert er alles“, sagt einer aus seiner nächsten Umgebung. Gemeint ist die Kanzlerschaft. Mitte des Jahres hat er sich eine neue Runde Brillen angeschafft, mit der er jünger aussieht, weniger streng. Auf dem Sommerfest ließ er sich filmen, wie er auf der Tanzfläche zu Poprhythmen tanzte. Aber beliebter ist er nicht. Im jüngsten Trendbarometer von RTL rangiert er hinter Karl Lauterbach und wieder nicht unter den zehn der beliebtesten deutschen Politikern.

Lustlos für die Quote

Alle Analysen hatten nach der verlorenen Bundestagswahl gezeigt: Die Union kommt in den städtischen Milieus nicht gut an, hat Kompetenz in der Sozialpolitik und im Klimaschutz verloren. Jünger, weiblicher, mitfühlender, moderner – so sollte sich die Union entwickeln. Merz aber, der das Image des altbackenen Konservativen abstreifen müsste, bedient alte Klischees. Auf die Flüchtlinge aus der Ukraine anspielend, meinte er, von einem „Sozialtourismus nach Deutschland“ sprechen zu müssen. In der Partei herrschte auch in Kreisen, die ihm wohl wollen, regelrechtes Entsetzen. Merz schob eine Entschuldigung nach. Da aber war das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Jüngst haben sich rund 20 Unionsabgeordnete der Stimme enthalten, als es im Bundestag darum ging, Menschen mit Duldungsstatus eine dauerhafte Bleibeperspektive zu eröffnen. Dies zeigte, dass es Parteiströmungen gibt, die die Union weniger traditionell-konservativ aufstellen wollen. Auf dem Parteitag im September hätte sich Merz positionieren können. Jahrzehnte hatte die CDU um das Thema Frauenquote gestritten.

Merz hätte sich als Modernisierer zeigen können, oder eben als Lordsiegelbewahrer einer vermeintlichen Bürgerlichkeit, die sich der modischen „Wokeness“ der Universitäten und städtischen Eliten entgegenstellt. Merz hat sich für einen profillosen Mittelweg entschieden: Er sprach lustlos für die Quote, redete sie als notwendiges Übel klein. Die CDU weiß noch nicht so recht, wo sie hin will. Merz weiß das schon. Aber auf diesem Weg ist er noch nicht weit vorangekommen.