Der Film „Triangle of Sadness“ um verkommene Dekadenz hat die Goldene Palme in Cannes gewonnen. Die Jury tat sich dieses Jahr ziemlich schwer.

Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass der schwedische Regisseur Ruben Östlund für seinen Film „The Square“ das erste Mal die Goldene Palme in Cannes gewann – nun reiht er sich in die erlesene Riege von Filmemachern (unter ihnen Francis Ford Coppola, Michael Haneke und Ken Loach) ein, die diesen Preis ein zweites Mal erhalten haben. Sein neues Werk „Triangle of Sadness“ galt im Vorfeld der Preisverleihung, mit der am Samstag die 75. Internationalen Filmfestspiele in Südfrankreich zu Ende gingen, nicht als größter Favorit. Doch für viel Aufmerksamkeit und Gesprächsstoffe hat der Film ohne Frage gesorgt.

 

Östlund ist kein Regisseur, der viel übrig hat für Zurückhaltung. Was er seinem Publikum über Männlichkeit, Doppelmoral und die menschliche Natur zu sagen hat, soll um jeden Preis ankommen, zur Not mit dem Holzhammer und einer Erzählhaltung, die mitunter etwas Bevormundendes hat. „Triangle of Sadness“ ist da keine Ausnahme. Die anfänglichen Einblicke in die Modebranche und den Umgang mit Männermodels – inklusive amüsanter Diskussionen eines Influencer-Pärchens (Harris Dickinson und Charlbi Dean) übers Bezahlen der Restaurantrechnung und alte Geschlechterrollen – nehmen sich noch fast zurückhaltend aus. Doch als diese beiden jungen, schönen Menschen dann auf einer Luxuskreuzfahrt für die Superreichen (zu denen auch Iris Berben und Sunnyi Melles gehören) landen, drückt Östlund auf die Tube.

Ein Bad aus Kotze

In diesem klar in drei soziale Schichten unterteilten Mikrokosmos zeigt der Film Geldgier und verkommene Dekadenz, empathielose Waffenmagnaten und einen kapitalistischen Oligarchen aus Russland, der leidenschaftlich mit dem marxistischen Kapitän (Woody Harrelson) des Schiffes diskutiert, bevor das alles buchstäblich in einem Bad aus Kotze und Scheiße den Bach runtergeht. Am Ende steht noch die überdeutliche Erkenntnis, dass selbst ein kompletter Umsturz des Systems kaum zu mehr Menschlichkeit und weniger Niedertracht führt. Was Östlund bei dieser Botschaft an Profundität abgeht, macht er wett mit einer tempo- und ideenreichen Inszenierung, mit sehr viel mal plumpem, mal bissigem Humor und einem Ensemble, das ohne Scheu an seine Grenzen geht. Die neunköpfige Jury, zu der neben dem französischen Schauspieler Vincent Lindon als Vorsitzendem unter anderem Asghar Farhadi, Joachim Trier, Noomi Rapace und Rebecca Hall gehörten, hatte daran offenkundig Spaß.

Dass man sich in diesem Jahr in Cannes angesichts vieler guter, aber weniger herausragender Werke schwertat, sich auf einige wenige Filme zu einigen, ließ sich an den übrigen Preisen ablesen. Der Große Preis der Jury etwa ging nicht an einen, sondern an zwei Filme: an „Close“ des Belgiers Lukas Dhont, der bewegend von der engen Freundschaft zweier 13-Jähriger erzählt, sowie an „Stars at Noon“ von Claire Denis.

Gerade die Auszeichnung der französischen Regisseurin, die seit ihrem Debüt „Chocolat – Verbotene Sehnsucht“ 1988 nicht mehr um die Goldene Palme konkurriert hatte, überraschte. Denn zumindest von der Kritik wurde ihre auf einem Roman von Denis Johnson basierende Geschichte einer US-Journalistin und eines mysteriösen britischen Geschäftsmannes, die in Nicaragua in amouröse und umstürzlerische Verstrickungen geraten, mitunter übertrieben harsch verrissen.

Viel Gutes aus Belgien

Auch den Jurypreis mussten sich zwei Filme teilen, der erzählerisch experimentierfreudige „Eo“ vom polnischen Altmeister Jerzy Skolimowski, der einen Esel zum Protagonisten macht, und die Romanverfilmung „Le otto montagne“ des belgischen Regieduos Charlotte Vandermeersch und Felix van Groeningen. Überhaupt war dieser Wettbewerb ein starker Jahrgang fürs belgische Kino: Die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne, die schon zweimal die Goldene Palme gewonnen haben, bekamen für ihr neuestes Sozialdrama „Tori et Lokita“ den Sonderpreis zum Festivaljubiläum. Skandinavische Filmemacher mit islamischen Wurzeln waren auch stark vertreten und gingen nicht leer aus. Während Tarik Saleh für seinen Film „Boy from Heaven“ den Drehbuchpreis erhielt, ehrte die Jury Ali Abbasis Thriller „Holy Spider“ über einen iranischen Prostituiertenmörder mit der Auszeichnung der Hauptdarstellerin Zar Amir Ebrahimi, die ihre Karriere im Iran nach einem Sexvideoskandal einst aufgeben musste und inzwischen auch als Fotografin arbeitet.

Der Regiepreis ging an „Decision to leave“ des Koreaners Park Chan-wook, sein Landsmann Song Kang-ho wurde für „Broker“ als bester Darsteller ausgezeichnet. Damit wurde am Ende fast jeder zweite der 21 Wettbewerbsbeiträge prämiert. Leer gingen vor allem die in diesem Jahr ohnehin schwach vertretenen englischsprachigen Filmemacher aus sowie rein französische Produktionen. Gar nicht erst vertreten waren schwarze Regisseure und Regisseurinnen, was genau wie mangelnde Geschlechtergerechtigkeit in Cannes seit jeher ein Thema ist. Vielleicht hat ja Ruben Östlund an der Croisette dazu ein paar Inspirationen sammeln können und widmet sich nach der Kunst- und Modewelt demnächst mal den großen Filmfestivals.

Die wichtigsten Auszeichnungen im Überblick

Goldene Palme
„Triangle of Sadness“ von Ruben Östlund (Schweden)

Großer Preis der Jury
„Stars at Noon“ von Claire Denis (Frankreich), „Close“ von Lukas Dhont (Belgien)

Beste Schauspielerin
Zar Amir Ebrahimi (Iran) in „Holy Spider“

Bester Schauspieler
Song Kang-ho (Südkorea) für seine Rolle in dem Film „Broker“

Beste Regie
Park Chan-wook (Südkorea) für „Decision to leave“

Bestes Drehbuch
Tarik Saleh (Schweden) für den Film „Boy from Heaven“

Preis der Jury
„Le otto montagne“ vom Duo Charlotte Vandermeersch und Felix van Groeningen (Belgien) – sowie für „Eo“ von Jerzy Skolimowski (Polen)

Camera d’Or für den besten Debütfilm
„War Pony“ von Riley Keough und Gina Gammell (USA)