Mit seinem Drohanruf bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann hat sich Bundespräsident Christian Wulff noch tiefer in die Bredouille geritten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Der zweite Mann im Staate fühlt sich bemüßigt, dem ersten beizustehen: Norbert Lammert, der als Präsident des Bundestages im offiziellen Protokoll direkt hinter dem Bundespräsidenten rangiert, kritisiert die Medien für deren Umgang mit Staatsoberhaupt Christian Wulff. Sie hätten "Anlass zu selbstkritischer Betrachtung ihrer offensichtlich nicht nur an Aufklärung interessierten Berichterstattung", moniert der CDU-Politiker. Worauf sich seine Kritik bezieht und was ihm nicht gefällt, sagt Lammert nicht.

 

Inzwischen liefert jedoch das offenkundig "nicht nur an Aufklärung interessierte" Verhalten des Bundespräsidenten in der Affäre neue Schlagzeilen. Vielleicht hätte Lammert sich seine Nebenbemerkung zur Rolle der Medien verkniffen, wenn er zum Zeitpunkt seines Interviews schon gewusst hätte, was jetzt bekannt wurde: Der Bundespräsident versuchte offenbar, eine ihm unliebsame Berichterstattung in der "Bild"-Zeitung mit aller Gewalt zu verhindern. Das hat der Springer-Verlag inzwischen bestätigt.

Wulff weiß schon seit Monaten Bescheid

Demnach habe Wulff im Vorfeld der Veröffentlichung die Gelegenheit zu einer Stellungnahme erhalten. Ihm war damals schon seit Monaten bekannt, dass in der anrüchigen Angelegenheit recherchiert wird. Wulff habe am 12. Dezember, bevor die Affäre öffentlich wurde, zunächst Stellung bezogen, die Stellungnahme am Abend des gleichen Tags kurz vor Redaktionsschluss aber wieder zurückgezogen. Der Präsident befand sich zu jener Zeit im Ausland. Er war auf Staatsbesuch am Persischen Golf.

Im Anschluss an den Rückzieher in eigener Sache habe Wulff versucht, persönlich bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann anzurufen, so schreibt dessen Blatt in der heutigen Ausgabe. Als Wulff ihn nicht erreichen konnte, habe er eine längere Nachricht auf Diekmanns Mobilbox hinterlassen. Er habe sich darüber empört, dass "Bild" eine "unglaubliche" Geschichte plane. Für den Fall, dass diese veröffentlicht würde, habe er dem Verlag mit dem "endgültigen Bruch" der gegenseitigen Zusammenarbeit gedroht, so die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Auch vom "Kriegführen" sei die Rede gewesen. Für ihn und seine Frau sei der "Rubikon" überschritten, so Wulff nach Darstellung des Blattes. Der Präsident habe zudem strafrechtliche Konsequenzen in Aussicht gestellt. Der Bundespräsident habe außerdem Springer-Chef Mathias Döpfner kontaktiert. Dieser habe ihn wissen lassen, dass er sich nicht in die Belange der Redaktion einzumischen gedenke. Der Springer-Verlag bestätigte auch dieses Telefonat inzwischen. Zwei Tage nach den merkwürdigen Anrufen, so "Bild", habe Wulff sich bei Diekmann erneut gemeldet und "persönlich um Entschuldigung für Ton und Inhalt" seiner Telefonate gebeten.

Offen bleibt, was Wulff zu diesen unpräsidialen Verhalten veranlasst hat. Er wusste von den Recherchen doch schon seit Monaten. Dass er selbst aktiv wurde, lässt erahnen, für wie gefährlich er die bevorstehende Veröffentlichung erachtet haben muss. Zu alledem schweigt das Bundespräsidialamt. Aus dem Schloss Bellevue verlauten nur sehr allgemeine Sätze: "Die Presse- und Rundfunkfreiheit ist für den Bundespräsidenten ein hohes Gut. Über Vieraugengespräche und Telefonate gibt der Bundespräsident aber grundsätzlich keine Auskunft."

Wenn der Rubikon überschritten ist

Römer Der Bundespräsident soll gegenüber dem Chefredakteur von „Bild“ davon gesprochen haben, dass mit der geplanten Berichterstattung über den umstritten Privatkredit für das Familienanwesen für ihn und seine Frau „der Rubikon überschritten“ sei. Damit nahm Bundespräsident Christian Wulff historische Anleihen bei den alten Römern.

Kriegserklärung Der Rubikon war ein Grenzflüsschen. Er trennte das italienische Kernland von der Provinz Gallia Cisalpina, dem heutigen Norditalien und dem kroatischen Istrien. Der römische Feldherr und Politiker Julius Caesar überquerte im Jahr 49 vor Christus mit etwa 5000 Soldaten den Fluss. Dies kam rechtlich einer Kriegserklärung gleich. Caesar wusste, sobald er diese Linie überschritt, würde er als Angreifer Roms gelten und seinen Gegenspieler Pompeius zur Gegenwehr herausfordern. Überliefert ist, dass Caesar seinen Schritt mit dem Ausspruch „alea iacta est“ begleitet hat, was als „der Würfel ist gefallen“ übersetzt wird. Wo genau der Rubikon floss, ist nicht überliefert. dapd