Wie bereitet man seine Kinder auf den Tod eines Geschwisters vor? Nadine Häußermann aus Waiblingen fand eine eigene Antwort auf diese Frage und verfasste ein Bilderbuch. Den Erlös spendet sie der Hospizarbeit.

Abschied - Für die Anna ist es so besser“ – es sind Sätze wie dieser, die Nadine Häußermann und ihre Familie nach dem Tod ihrer vierjährigen Tochter zusätzlich schmerzen, auch wenn sie sicherlich gut gemeint sind. Andere Menschen wiederum wenden sich wortlos von ihnen ab, wenn sie die traurige Nachricht erfahren. Der Tod ist oftmals ein Tabuthema, der Umgang damit für viele schwierig, vor allem wenn er Kinder betrifft.

 

Wie geht man mit ihm um? Diese Frage hat sich auch Nadine Häußermann selbst gestellt als sie erfahren hat, dass ihre Tochter sterben wird. Doch noch mehr hat die Mutter von vier Kindern beschäftigt: Wie bereitet sie Annas Geschwister darauf vor? Sie hat eine eigene Antwort darauf gefunden und ein Buch über das Abschiednehmen geschrieben.

Ein Kind mit unglaublicher Präsenz

Dass ihr Kind nicht mehr lange leben wird, erfuhren die Häußermanns 2017. Leicht hatte es die kleine Anna zuvor schon nicht. Als Frühchen kam sie in der 24. Schwangerschaftswoche im Sommer 2015 zur Welt. „Sie wurde gesund geboren. Aber dann gab es Komplikationen im Krankenhaus.“ Teile ihres Darms starben ab, weswegen Anna mehrfach operiert werden musste. Ein Sauerstoffmangel hierbei führte zu Hirnschäden. Wegen des fehlenden Dünndarms musste sie über das Blut ernährt werden. Trotz allem kämpfte sich Anna ins Leben, nahm regen Anteil an allem. „Sie hat andere Kinder und Action um sie herum geliebt. Und obwohl sie selbst nichts machen konnte, nicht laufen und nicht sprechen, hatte sie eine unglaubliche Präsenz“, beschreibt Häußermann die Persönlichkeit ihrer Tochter, die mit ihrem Lachen Menschen verzauberte und mit ihrer Kämpfernatur anderen Mut machte.

2017 änderte sich das Leben der Familie indes schlagartig. Anna erlitt bei einem Katheterwechsel eine Sepsis. Kaum überstanden, hing ihr junges Leben erneut an einem seidenen Faden. In ihrem Herzen entdeckten die Ärzte einen Thrombus. „Bis dahin war Anna nur schwer krank, aber es war nie die Rede davon, dass sie sterben muss“, erinnert sich ihre Mutter. Wie erklärt man das den Geschwistern? Nadine Häußermann suchte nach Antworten, nach kindgerechter Literatur dazu. „Doch ich habe nichts gefunden. Entweder handelten Bücher vom Tod der Oma oder des Hundes, aber nicht davon, dass ein Geschwisterkind stirbt.“ Daraufhin machte sich Häußermann selbst ans Werk. Erdachte sich eine Bildergeschichte über vier Raupen als Metapher für ihre vier Kinder, von denen eine nach ihrer Verwandlung zum Schmetterling zu schwach ist zum Leben.

Die älteste Tochter hilft beim Buch mit

Ihre älteste Tochter, jetzt neun Jahre, half ihr dabei und bastelte bei den Szenerien für die Bilder mit. Stückchenweise ging das Projekt voran, immer wieder unterbrochen von Aufenthalten mit Anna im Krankenhaus und im Hospiz. „Wir waren mit Überleben beschäftigt“, sagt Häußermann dazu. Denn der Thrombus verschwand zwar wie durch ein Wunder aus Annas Herzen, aber dafür stellten sich durch die Ernährungsweise andere organische Probleme ein.

Es habe dennoch immer wieder auch gute Zeiten gegeben, berichtet Häußermann. Das zu betonen ist ihr wichtig, um zu zeigen, dass man auch oder gerade mit einem schwerkranken Kind etwas unternehmen kann. „Mit einem Koffer voll Medikamente sind wir zum Beispiel auf Kreuzfahrt gegangen.“ Unvergesslich ist für die Familie zudem Annas vierter Geburtstag, der erste, den sie nicht in einem Krankenhaus verbringen musste, sondern mit ihren Kindergartenfreunden feiern konnte – zwei Wochen vor ihrem Tod.

Halt gab der Familie beim Abschied von Anna das um einige Dinge ergänzte selbst gemachte Büchlein. So beschreiben Annas Geschwister darin etwa ihre kindlichen Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und regen damit auf anrührende Weise auch erwachsene Leser zur Auseinandersetzung an. Mittlerweile spendet das Buch „Anna wird fliegen“ indes nicht nur ihrer Familie Trost. Zunächst nur als Danksagung für Freunde, Bekannte und Mitarbeiter des Hospizes nach der Beerdigung gedacht, ließ Nadine Häußermann es bei Books on Demand drucken. Als Vertragsbestandteil mit der Self-Publishing-Plattform kam das Buch in den Online-Handel und fand erste Abnehmer. Es musste nachgedruckt werden.

Die unerwartete Resonanz brachte Nadine Häußermann auf eine Idee: Der Verkaufserlös des Buches soll der Hospizarbeit zu Gute kommen. „Ich bin den Mitarbeitern dort unendlich dankbar. Sie haben uns immer wieder aufgepäppelt. Oftmals sind wir in das Hospiz hinein gekrochen und heraus gelaufen.“