Politiker begrüßen den von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegten Deutschen Lernatlas. Der Philologenverband kritisiert die Methode.  

Stuttgart - Der von der Bertelsmann-Stiftung vorgelegte Deutsche Lernatlas, der den süddeutschen Ländern sowie Sachsen gute Noten erteilt, ist von Politikern aller Couleur begrüßt worden. "Je länger die CDU und CSU regieren, desto besser sind die Lernbedingungen vor Ort", erklärte der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Albert Rupprecht. Baden-Württembergs Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) sieht die guten Leistungen der Schulen im Land durch den Atlas bestätigt. "Die Lehrerinnen und Lehrer haben es durch ihr großes Engagement erreicht, dass unsere Schulen so gut dastehen", erklärt die Ministerin. Die Studie zeige auch, dass die Regierung in Stuttgart richtig liege, wenn sie nun "Bereiche mit großem Nachholbedarf konsequent" angehe. Denn sie mache auf regionale Unterschiede aufmerksam. Es müssten "gleichwertige Bedingungen im ländlichen und städtischen Raum" geschaffen werden, sagt die Ministerin.

 

Die Autoren der in Gütersloh sitzenden Bertelsmann-Stiftung haben keine eigene Erhebung durchgeführt, sondern aus frei verfügbaren Daten 38 Kennzahlen herausgefiltert. Mit ihnen beschreiben sie die Leistungen von 412 kreisfreien Städten und Landkreisen für ein positives Bildungsumfeld, das ein lebenslanges Lernen möglich macht. Analysiert werden das schulische und berufliche Lernen ebenso wie das soziale und persönliche Lernen. "Der Lernatlas verdeutlicht, dass Lernen mehr ist als Schule", sagt Jörg Dräger, der Bildungsexperte der Stiftung. Verschieden gewichtet fließen in die Gesamtnote beispielsweise die Vereinsmitgliedschaft, das Engagement beim Roten Kreuz oder in der freiwilligen Feuerwehr sowie der Besuch von Museen, Bibliotheken oder Theater ein. Aber wie gewichtet wird, ist nach Ansicht von Experten manchmal "rätselhaft". So besteht die Gesamtnote beim sozialen Lernen zu 45 Prozent aus den Indikatoren Höhe der Wahlbeteiligung, Parteimitgliedschaft und Bereitschaft zur Knochenmarkspende. Stuttgart erzielt in puncto soziales Lernen übrigens den ersten Platz unter den Großstädten.

"Die Aussagekraft des Lernatlas ist äußerst gering"

Für das schulische und berufliche Lernen werden Zahlen über Klassenwiederholer, Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss oder Hochqualifizierte in der Weiterbildung mit herangezogen. Auch wird die Lesekompetenz bei Grundschülern aus der Iglu-Studie sowie die mathematische Kompetenz der Pisa-Studie berücksichtigt. Diese Herangehensweise ist vom Deutschen Philologenverband kritisiert worden. "Die Pisa- und Iglu-Studien basieren auf landesweit erhobenen Daten. Die lassen sich gar nicht herunterbrechen auf Landkreise", sagt Hans-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Philologenverbandes. "Die Aussagekraft des Lernatlas ist äußerst gering." Timo Ehmke, der Pisa-Experte vom Institut für Bildungswissenschaft in Lüneburg, sieht das ähnlich. Der Lernatlas enthalte "viel Botschaft, bei einer noch unklaren Grundlage". Trotz Bemühungen sei es bisher nicht gelungen, eine kleinräumige, vergleichende Bildungsstudie vorzulegen. Die Forscher aus Gütersloh verweisen selbst auf die "Grenzen" ihrer Arbeit, da sie nur Daten berücksichtige, die bundesweit für alle Regionen verfügbar seien. Man habe "einen Impuls zur Weiterentwicklung der Bildungspolitik" geben wollen und kein "Steuerungsinstrument".

Laut Lernatlas weist der Süden in allen vier Lerndimensionen die höchsten Werte auf. Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Rheinland-Pfalz schnitten besser ab als der Rest der Republik. Auffällig ist das Nord-Süd-Gefälle beim schulischen Lernen sowie ein Ost-West-Gefälle beim sozialen Lernen. "Nach der Auflösung der staatlichen Engagementstrukturen der DDR entwickelte sich in den neuen Ländern nur langsam eine eigenständige Engagementkultur", heißt es. Die schlechteste Gesamtnote erhält Wismar an der Ostsee, das beste Resultat der Main-Spessart-Kreis in Bayern. Mit 119 freiwilligen Feuerwehren, 1400 Vereinen und einer Arbeitslosigkeit von 2,1 Prozent hat er offenbar ein positives Lernumfeld.

Wieder mal Musterländle

Provinzbonus: Baden-Württemberg landet im Ranking des Deutschen Lernatlas mit 56,66 Punkten hinter Bayern auf Platz zwei und liegt weit über dem Bundesdurchschnitt (46,33). Der Index reicht von zehn für die schlechtesten und 70 für die besten Lernbedingungen. In der Studie heißt es, dass man in der Provinz häufig ein besseres Lernumfeld finde als in der Stadt. Den Spitzenplatz im Land hat der Kreis Breisgau-Hochschwarzwald (62,7) gefolgt von den Kreisen Reutlingen (60,69) und Tübingen (59,99). Schlusslicht ist der Enzkreis (52,3).

Städteranking:
Stuttgart kommt im Landesvergleich auf einen vergleichsweise niedrigen Wert von nur 52,94 Punkten, liegt aber im Vergleich der deutschen Großstädte nach München und Dresden auf dem dritten Platz. Bundesweites Schlusslicht unter den Großstädten ist Bremen (29,72). Beim Unterpunkt
soziales Lernen ist Stuttgart gar Spitzenreiter. Bei den Städten in Baden-Württemberg trägt Freiburg die rote Laterne mit nur 51,15 Punkten, gefolgt von Pforzheim mit 51,19 Punkten.