Bildung in Stuttgart Jüdische Grundschule leidet unter Lehrermangel

Der Namensgeber der jüdischen Grundschule, Eduard Pfeiffer (links) und Schülerfotos aus 15 Jahren im Eingangsbereich der jüdischen Grundschule. Foto: Sellner

Zum 15-jährigen Bestehen ist die Stuttgarter Privatschule nach dem Industriellen und Wohltäter Eduard Pfeiffer benannt worden. Sie floriert. Einen Mäzen könnte sie allerdings auch heute gut gebrauchen.

Der Ferienkalender im Rektorat von Agnieszka Engelmann unterscheidet sich durch farbliche Markierungen deutlich von denen in anderen Schulen: „Gelb steht für die staatlichen Ferien, grün sind die jüdischen Feiertage gekennzeichnet“, erklärt Agnieszka Engelmann. Sie ist Leiterin der jüdischen Grundschule, die in diesem Jahr ihr 15-jähriges Bestehen feiert und zum Jubiläum nach dem jüdischen Industriellen, Sozialreformer und Wohltäter Eduard Pfeiffer benannt wurde. Als eine von mehr als 70 Grundschulen in der Stadt, in privater Trägerschaft der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), aber staatlich anerkannt. Für Kinder und Lehrer sind daher die regulären Ferien ebenso selbstverständlich wie die jüdischen Feiertage, die von Jahr zu Jahr im Datum variieren.

 

„Ein farbiger Mosaikstein in der Stuttgarter Schullandschaft“

Mit 14 Kindern ist die Schule 2008 gestartet. Unbeirrt hatte der damalige Rabbiner der IRGW, Netanel Wurmser, dieses Vorhaben vorangetrieben und durchgesetzt. Nicht nur, um Religion und Gebote als Grundlage jüdischen Lebens zu lehren. Sondern auch, weil die Einhaltung jüdischer Feste für Schüler in öffentlichen Schulen nicht immer frei von Komplikationen ist. Die nötigen Räume konnten im Gebäudekomplex der Gemeinde zur Verfügung gestellt werden. Und die Entwicklung gab ihm recht. Die Schar der Schülerinnen und Schüler wuchs, auch durch den Zuzug aus Osteuropa, ständig, 129 Viertklässler haben bisher die Schule in Richtung weiterführende Schulen verlassen. Heute hat die Schule ihre Maximalgröße von vier Klassen mit jeweils 15 Kindern erreicht. Ein Limit, das von den Baubehörden verfügt wurde, aber pädagogisch ein Glücksfall ist. „Wir sind in diesen 15 Jahren ein Mosaikstein geworden, der die Stuttgarter Schullandschaft reicher, farbiger und vollständiger macht“, betont Rektorin Engelmann.

Vor 89 Jahren sei hier, an derselben Stelle, schon einmal eine jüdische Schule gegründet worden, ruft Engelmann in Erinnerung. In den Jahrzehnten davor seien jüdische Bürger allen Stadtbewohnern gleichgestellt und so assimiliert gewesen, dass sie ihre Kinder ohne Wenn und Aber in die öffentlichen Schulen schickten. Doch die Machtübernahme des NS-Regimes änderte alles: „Die Stuttgarter Juden begriffen, dass sie keine Zukunft mehr in dieser Stadt haben. Um ihre Kinder auf die Emigration vorzubereiten, gründeten sie 1934 die Schule, in der ihre Töchter und Söhne unter anderem ganz schnell Englisch, Spanisch und Hebräisch lernen sollten.“ Das Verbot der Schule kam 1941, im gleichen Jahr folgten die Deportationen.

Zu den „Leckerbissen“ gehört ein regelmäßiger Besuch der Ökostation

Jetzt bringt die Flucht vor dem Krieg in der Ukraine immer wieder neue Kinder in die Ganztagesschule, die keineswegs nur von jüdischen Kindern besucht wird: „Wir stehen für Kinder aller Konfessionen offen“, so Engelmann. Außer den beiden Religionslehrern seien das Kollegium und die Schulsozialarbeiterin christlich, Kinder christlichen und muslimischen Glaubens würden derzeit auch hier unterrichtet. Eingeschult im Wissen, das sie eine Bekenntnisschule besuchen: „Neben dem allgemein gültigen Lehrplan unterrichten wir hier Hebräisch, jüdische Religion, feiern Schabbat, begehen jüdische Feste, leben nach jüdischen Werten und Traditionen, und das Essen ist koscher“, erklärt Engelmann. Und hebt die „Leckerbissen“ hervor: „Ein wöchentlicher Besuch in der Ökostation auf dem Wartberg, Schwimm- und Flötenunterricht, Computerunterricht ab der zweiten Klasse. Dazu nutzen wir vom reichen Angebot für Grundschüler in Stuttgart die Singpause, die Vorlesepaten, Besuche in den Bibliotheken und Museen und vieles mehr.“

Das Ziel ist die Gründung einer weiterführenden jüdischen Schule

Eine Sorge teilt diese Schule mit allen anderen: Den Mangel an Lehrern. „Wir haben nur vier Lehrer für vier Klassen“, schildert Dimitrij Velkin, Leiter der Grundschulkommission und Vater eines Zweitklässlers, die Situation. Das Regierungspräsidium stelle eine Verbesserung in Aussicht, es gebe Lehrer, die gern an dieser Schule unterrichten würden. Dafür müssten sie allerdings erst in den öffentlichen Schulen freigestellt werden. Darüber hinaus hat Velkin die Zukunft im Blick: „Unser Ziel ist die Gründung einer weiterführenden Schule.“ Auch, um Kinder vor antisemitischen Diffamierungen zu schützen: „An manchen Schulhöfen ist Jude ein Schimpfwort. Doch wir können das als Gemeinde nicht selbst finanzieren und suchen nach Kooperationspartnern. Da ist auch die Politik gefragt.“ Oder ein Mäzen wie Eduard Pfeiffer.

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