Aus vielen Klassenstufen wechseln Gymnasiasten an die Realschulen. Die werden zum Sammelbecken für Schüler unterschiedlicher Leistungsniveaus. Das Schulamt rät Grundschulen zu Beratungen.

Stuttgart - In diesem Schuljahr sitzen 408 ehemalige Gymnasiasten in Realschulklassen. Sie haben die Schulart gewechselt, mal mehr, mal weniger freiwillig, weil sie den Anforderungen im Gymnasium nicht mehr gewachsen waren. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, nach welcher Klassenstufe die Schüler das Gymnasium verließen. Denn während dies in den vergangenen Jahren meist nach den Klassenstufen sieben, acht und neun geschehen sei, seien nun auch die Klassenstufen fünf und sechs stark vertreten, sagt die Leiterin des Staatlichen Schulamts, Ulrike Brittinger. Und diese neuerliche Entwicklung führt Brittinger auf den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung vor zwei Jahren zurück.

 

Seither dürfen die Eltern entscheiden, welche Schulart ihr Kind besuchen soll. Dadurch sollte der Druck auf Grundschüler verringert werden und weniger soziale Auslese stattfinden. Den Effekt beschreibt Brittinger so: „Wir haben insgesamt die Tendenz, dass Eltern möglichst versucht haben, das Gymnasium zu wählen.“ Aktuell sind rund 60 Prozent der Viertklässler aufs Gymnasium gewechselt. Wie viele von ihnen auch eine Gymnasialempfehlung haben, ermittle man nicht mehr, so Brittinger. Im Jahr 2012 war dies noch erfolgt: Da lag der Anteil der Kinder mit Gymnasialempfehlung bei 51,3 Prozent, tatsächlich dorthin gewechselt waren jedoch 54,5 Prozent der Viertklässler.

Realschulen werden zum Sammelbecken

Besonders deutlich hatte sich der Unterschied bei der Werkrealschule gezeigt: 24 Prozent hatten vor zwei Jahren eine Empfehlung für diese Schulart erhalten, doch nur 10,6 Prozent landeten tatsächlich dort. Aktuell haben sich für die Werkrealschule sogar nur noch 6,9 Prozent der Viertklässler entschieden. Fast genauso viel, nämlich 6,3 Prozent der Viertklässler, sind auf eine der vier Gemeinschaftsschulen in der Landeshauptstadt gewechselt, die für alle Bildungsgänge offen sind. In den Gemeinschaftsschulen können die Kinder auch nicht sitzenbleiben.

Und die Realschule? Sie wird immer mehr zum Sammelbecken für Schüler unterschiedlicher Leistungsniveaus. Auf sie wechseln direkt nach der vierten Klasse rund 30 Prozent der Schüler. Zunehmenden Zulauf bekommt sie in den Jahrgängen darüber. Denn nach wie vor greift die Versetzungsordnung, die für jede allgemeinbildende Schulart – mit Ausnahme der Gemeinschaftsschulen – klare Leistungsvorgaben macht.

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Kinder verlieren das Zutrauen

Doch die Amtsleiterin Ulrike Brittinger bewertet es auch als positiv, „dass offensichtlich Korrekturen erfolgen, dass Eltern dazu bereit sind, wenn Kinder dem Bildungsgang nicht folgen können“. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass die Freigabe der Grundschulempfehlung Eltern in eine stärkere Verantwortung bringen werde. „Wir würden uns wünschen“, so Brittinger, „dass Eltern die Beratung in Anspruch nehmen.“ Dasselbe wünschten sich, aus gegebenem Anlass, auch die Grundschullehrer. Allerdings wird das Beratungsangebot offensichtlich von vielen Eltern nicht angenommen – und die Kinder müssen dann mitunter darunter leiden. „So ein Wechsel“, meint Brittinger, „macht ja auch etwas mit einem Kind – das ist für das Kind nicht einfach. Wenn man ständig Misserfolgserlebnisse hat, verliert man ja auch das Zutrauen.“

Doch wenn das Kind längst auf der Schulart ist, die es überfordert: wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Schullaufbahn zu korrigieren? „Einen optimalen Zeitpunkt gibt es nicht“, so Brittinger. „Günstig ist es, nicht zu lange zu warten.“ Die meisten Wechsler – nämlich 108 – gingen in diesem Jahr nach Klasse neun vom Gymnasium ab, auf die Realschule. „Da spielt oft Mathe oder die zweite Fremdsprache eine Rolle“, so Brittinger. „Es ist klug, nach Klasse neun zu wechseln und nicht erst nach Klasse zehn.“