Dann ist ja alles in Butter. Die Studenten können manche Sachen besser als früher, andere schlechter. Wo sehen Sie das Problem?
Leider ist das nicht so. Ohne Lese- und Schreibkompetenz kann man kein geisteswissenschaftliches Studium erfolgreich absolvieren. Ein anderes Fach vermutlich auch nicht. Hinzu kommt, dass wir eklatante Lücken beim Weltwissen beobachten. Damit meine ich mehr als bildungsbürgerliche Allgemeinbildung. Es geht um die Fähigkeit, Fakten in einen größeren Kontext einzuordnen. Was soll ich zum Beispiel mit einem Germanisten anfangen, der sich nicht ganz sicher ist, ob Goethe im 16. oder im 18. Jahrhundert gelebt hat. Ein Kollege berichtete sogar, dass Studienanfänger nicht wussten, in welchem Jahrhundert der Zweite Weltkrieg stattgefunden hat.

Jetzt erzählen Sie Horrorgeschichten. Kann es nicht sein, dass wir heute viel mehr Studierende haben und deshalb auch ein paar mehr Ahnungslose darunter sind?
Die Zahl der Studierenden ist in der Tat gewachsen, und die Selektion hat sich verändert. Natürlich gibt es auch heute noch ganz hervorragende Studienanfänger. Aber das heißt ja nicht, dass wir uns mit den zu Tage getretenen Schwächen abfinden sollten. Unsere Umfrage soll Anstöße liefern für die Kultusministerkonferenz, in der zurzeit über gemeinsame Bildungsstandards diskutiert wird. Zudem sollten Sie nicht vergessen: auch bei den Lehramtsstudenten treten die beschriebenen Schwächen auf, also bei dem Nachwuchs, der später im Unterricht Lese- und Schreibkompetenz vermitteln soll. Nähmen wir die jetzige Situation so hin, würde sich der Kompetenzmangel ausbreiten.

Was also tun?
Wir müssen auf mehreren Ebenen reagieren. In der Oberstufe sollten die Schüler die Grundkompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen bis zum Abitur trainieren. Heute geht man fälschlicherweise davon aus, dass sie am Ende der Mittelstufe beherrscht werden und verzichtet in der Oberstufe darauf, sie zu üben. An den Universitäten böte sich ein ein- bis zweisemestriges geisteswissenschaftliches Grundlagenstudium an, eine Art Studium generale, in dem auch jenes bereits erwähnte Weltwissen vermittelt wird.

Dadurch würde sich das Studium aber wieder verlängern. Dabei ist es doch gerade erst im Bologna-Prozess verkürzt worden.
Der Bologna-Prozess sieht vor, die Studienabschlüsse europaweit zu vereinheitlichen. Die Studiendauer wird darin nicht auf sechs Semester begrenzt. Ich halte generell nichts von einem Schnelligkeitswahn, der auf Kosten der Qualität und der Kernkompetenzen geht. Davon haben im Übrigen auch die Arbeitgeber keinen Vorteil.

Sind denn zumindest die Studierenden aus Baden-Württemberg besser?
Dazu kann ich keine Aussagen machen. Wir haben die Umfrageergebnisse weder nach Bundesländern noch nach Universitäten differenziert. Wir wollen den Kultuspolitikern Anregungen geben. Deshalb vermeiden wir es, uns ins politische Getümmel zu stürzen und einzelne Bundesländer gegenüber anderen hervorzuheben.