Der Bund lockt die Länder mit Förderprogrammen für die Schulen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht die Länderhoheit in Gefahr. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch hält das für übertrieben.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann gilt als emphatischer Verteidiger der Länderhoheit gegen den Zentralstaat. Dem Föderalismus widmete er erst jüngst einen informellen Kabinettsabend in der Villa Reitzenstein. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sowie der ehemalige Hamburger Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) lieferten den Mitgliedern der Landesregierung Argumente, weshalb die Länder ihre Autonomie in der Bildungspolitik verteidigen sollten. Die Universitäten, mehr noch die Schulen bilden den Kern der Gestaltungsmacht der Länder. Sie sind ihr Augenstern, ihr größter Schatz. In dieser Einschätzung ist sich Kretschmanns Koalition einig. Wolfgang Reinhart, der Chef der CDU-Landtagsfraktion, ließ mehrfach sinngemäß verlauten, wenn die Länder ihre Kultushoheit aufgäben, könnten sie ihren Laden gleich ganz zumachen.

 

Andreas Stoch, der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und Kultusminister der grün-roten Koalition, bewertet dies allerdings als Schwarz-Weiß-Malerei. Er hält es für irreführend, wenn die Frage, ob der Bund Geld für Bildungsausgaben zur Verfügung stellen darf, gleichgesetzt wird mit der kompletten Abschaffung der Kultushoheit der Länder. „Ich sehe die Kultushoheit mit guten Gründen bei den Ländern“, sagt Stoch, „aber ich sehe auch, dass viele Länder die Schlüsselaufgabe Bildung nicht ausreichend finanziell ausstatten, dies teilweise auch nicht können.“

Deutschland gibt zu wenig Geld für Bildung aus

Die Kultusminister der Länder befinden sich in einem Dilemma. Einerseits sehen sie sich vor die Aufgabe gestellt, den Unterricht zu sichern und darüber hinaus allerlei Bildungsinnovationen mit Personalstellen zu unterlegen: Ausbau der Ganztagsschulen, Inklusion, auch frühkindliche Erziehung. Andererseits verwalten sie in den Ländern regelmäßig den größten Einzelhaushalt. Wenn gespart werden muss, dann kommen irgendwann auch die Schulminister unter Druck. Stoch hat das in seiner Ministerzeit durchlitten. 12 600 Lehrerstellen sollten gestrichen werden auf der Grundlage von Prognosen zur Entwicklung der Schülerzahlen, die sich als falsch erwiesen.

Aber auch in einer fiskalisch goldenen Zeit, die ein gütiges Schicksal allen gegenwärtig Regierenden schenkt, dürsten die Länder nach mehr Geld für die Bildung. Zu Recht, findet Stoch. Deutschland gebe dafür im OECD-Vergleich zu wenig aus. „Der Bund sitzt auf den Finanztöpfen, und den Länder fehlt es für die Schulen – das darf nicht sein.“ Diesen Befund teilt auch Kretschmann. Doch der Regierungschef will keine Schulprogramme vom Bund, sondern eine Neuaufteilung des Steueraufkommens. Er verweist auf Artikel 106 des Grundgesetzes, wo es heißt: „Der Bund und die Länder haben gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben.“ CDU-Fraktionschef Reinhart forderte erst jüngst einen höheren Umsatzsteueranteil für die Länder.

Grünen-Kollege Schwarz unterstützt ihn: „Wir wollen eine verlässliche Finanzierung – und keinen Flickenteppich von zeitlich begrenzten Förderprogrammen.“

Viel Geld aus dem Schulsanierungsprogramm

SPD-Fraktionschef Stoch hält es indes für wenig erfolgversprechend, auf eine Neuverteilung des Steueraufkommens zu setzen, wo sich doch Bund und Länder erst im vergangenen Jahr nach langen, quälenden Verhandlungen auf eine Neuordnung ihrer Finanzbeziehungen geeinigt hatten.

Dabei war ein neuer Artikel 104c ins Grundgesetz geschrieben worden, der Bundesfinanzhilfen wenigstens für finanzschwache Kommunen erlaubt, um die Bildungsinfrastruktur zu sanieren. Die Beschränkung auf finanzschwache Kommunen erwies sich allerdings als nachteilig für Baden-Württemberg. So legte der Bund ein bis Ende 2022 laufendes Schulsanierungsprogramm auf und stattete es mit 3,5 Milliarden Euro aus. Der Südwesten profitiert davon mit 251 Millionen Euro vergleichsweise wenig. Allein Nordrhein-Westfalen erhält 1,1 Milliarden Euro. Aber auch Hessen mit deutlich weniger Einwohner als Baden-Württemberg bekommt fast 330 Millionen Euro. Das liegt daran, dass für die Verteilung des Geldes neben der Einwohnerzahl auch Kriterien wie die Finanzlage der Kommunen und die Arbeitslosenzahl berücksichtigt werden. Nach dem sonst üblichen Königsteiner Schlüssel wären 455 Millionen Euro (etwa 13 Prozent) nach Baden-Württemberg geflossen. Im Entwurf des Koalitionsvertrags von CDU und SPD ist vorgesehen, den Begriff „finanzschwach“ in Bezug auf die Kommunen in Artikel 104c des Grundgesetzes zu streichen. Das hilft Baden-Württemberg.

Zugleich wird eine „Investitionsoffensive für Schulen“ zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm angekündigt. Aus Sicht der Superföderalisten um Kretschmann bedeutet dies einen Eingriff in die Kultushoheit der Länder. Stoch sieht das anders. Wenn die Länder mehr Mittel über die allgemeine Steuerverteilung bekämen, würde sofort der Verteilungskampf zwischen den Einzelressorts ausbrechen – und das Geld keineswegs allein in die Bildung fließen. Er plädiert für mehr Pragmatismus: „Wenn der Bund für die Bildung mehr Geld gibt, sollten wir das nehmen.“