Im Interview erklärt Bildungsministerin Anja Karliczek, was sie vom Schuleschwänzen und damit verbundenen Polizeikontrollen hält und wie sie über den Schwimmunterricht für muslimische Mädchen denkt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Seit vier Monaten ist Anja Karliczek Bundesbildungs- und Forschungsministerin. Auch schulpolitisch hat die 47-jährige CDU-Politikerin einiges vor. Wie sie selbst als Schülerin war? Was sie in der Schule fürs Leben und die Politik gelernt hat? Im Interview verrät sie es.

 
Frau Karliczek, was hatten Sie in der Schule lieber: Musik oder Sport?
Musik.
Mathe oder Deutsch?
Hab ich beides gerne gemacht.
Waren Sie Klassenclown oder Lehrerliebling?
Weder noch.
Haben Sie Nachhilfe gehabt oder gegeben?
In der ersten Klasse hat die Lehrerin mich erwischt, als ich beim „Vorlesen“ aus dem Fenster sah. Von meinen Cousins und Cousinen, die alle älter waren als ich, konnte ich dummerweise das Lesebuch auswendig! Damals hatte ich dann Nachhilfe im Lesen. Das war das einzige Mal. Viel später habe ich Latein-Nachhilfe erteilt.
Hand aufs Herz: Haben Sie mal geschwänzt?
Nein!
In Bayern gab es vor kurzem Polizeieinsätze, bei denen Eltern vor Ferienbeginn mit schulpflichtigen Kindern am Flughafen ertappt wurden. Ist das angemessen?
In Deutschland gilt Schulpflicht, und Regeln müssen eingehalten werden. Wenn wir billigere Flüge in die Ferien als Grund für Abwesenheit akzeptieren würden, hätte das eine Erosion zur Folge. An dieser Stelle müssen wir die Schulleiter unterstützen. Dass die Polizei da aktiv war, ist schon eine straffe Geschichte. Aber wenn Kinder notorisch schwänzen, werden sie auch von der Polizei abgeholt.
Kann man das nicht lässiger handhaben wie in der Schweiz, wo es eine feste Zahl von „Joker-Tagen“ gibt, an denen Kinder unentschuldigt fehlen dürfen.
Wir haben Regeln, dass und wann Kinder vom Unterricht befreit werden. Ich finde, das reicht.
Wie hat sich Ihr Blick auf Schule verändert, seit Sie Ministerin sind?
Bei allen Unterschieden, die es gibt, wird mir eine Sorge überall vorgetragen: dass Individualismus zu sehr im Vordergrund steht und die Gemeinschaftsidee zurückgedrängt hat. Wie wir es schaffen, den Gemeinschaftsgeist wieder hochzuhalten und nicht nur das einzelne Kind im Blick zu haben, ist eine Herausforderung, die die Schulen in Deutschland verbindet.
Stichwort Individualität und Integration: Soll man Burkinis erlauben, damit muslimische Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen?
Jedes Kind muss schwimmen lernen. Davon muss die Schule die Eltern überzeugen. Was das Kind dabei anzieht, ist nicht egal, aber da ist Flexibilität gefragt. Die Schulen vor Ort müssen sehen, wie sie das harmonisch hinbekommen. Per Gesetz kann man das nicht regeln. Natürlich muss man dabei auf unsere Standards hinweisen. Aber es hat keinen Sinn einem Mädchen unsere Kleidervorschriften aufzuzwingen, wenn es zuhause in einer ganz anderen Welt lebt. Damit erreicht man keine Akzeptanz.
Wie schafft die Schule Akzeptanz?
Sie muss wertschätzen, dass wir alle verschieden sind, und klarmachen, dass wir gemeinsame Regeln brauchen. Wenn das ordentlich gelingt, ist auch die Frage nach dem Burkini beantwortet.
Mit Ja oder Nein?
Von Fall zu Fall kann man auch mal Ja zum Burkini sagen, wenn beide Seiten den Weg ins Schwimmbad dann mitgehen können. Wir dürfen die Integrationsfrage in unserem Land nicht auf den Schultern unserer Kinder austragen.
Themenwechsel: Ist es ein Skandal, dass deutsche Forscher und Professoren gegen Geld auf scheinwissenschaftlichen Online-Plattformen publiziert haben?
Nach den jüngsten Medienberichten haben etwa 5000 deutsche Forscher auch solche unseriösen Plattformen genutzt. Das hört sich nach viel an, ist aber nur etwa ein Prozent der wissenschaftlichen Publikationen in Deutschland. Die Mehrheit der Forscher macht ihre Arbeit anständig, hält die Regeln ein und publiziert in seriösen Organen. Wo die Qualitätsprüfung von Texten vor der Veröffentlichung nicht funktioniert hat, muss man Abhilfe schaffen.
Wie ist Ihre Rolle dabei?
Die Aufarbeitung hat schon begonnen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft zum Beispiel schaut nicht mehr auf die Zahl der Veröffentlichungen, sondern auf die Qualität. Das in den Griff zu bekommen, ist Aufgabe der Wissenschaft. Die Materie sollten wir nicht an uns ziehen, sondern da lassen, wo sie hingehört.
Das klingt, als solle die Wissenschaftsfreiheit als Ruhekissen für die Ministerin herhalten?
Nein, so ist es nicht. Es geht aber nicht um Gesetzesverstöße, sondern darum, dass die Qualitätssicherung nicht gut genug funktioniert hat. Außerdem ist mein Haus nicht die Kontrollbehörde der Wissenschaft. Aber wir sind in engem Austausch.
Nach allem, was bisher von Ihnen zu lesen war, haben Sie ein ziemlich ökonomisches Verständnis von Bildung.
Nein. Der Mensch ist etwas wert, weil er da ist, nicht weil er nützlich ist. Dass er sich besser orientieren kann, wenn er gebildet ist, weil er die Welt in ihrer Vielfalt besser wahrnehmen kann, ist ein Wert an sich.
Sie sagen, im Zeitalter der Digitalisierung müsse jeder ein bisschen Programmieren können, wenn er die Schule verlässt – wieso eigentlich?
Ich will nicht jedes Kind zum Programmierer machen. Aber jeder muss einen Begriff davon haben, wieso das Netz passende Werbung liefert, sobald man etwas online gekauft hat. Sonst wird man manipulierbar.
Wenn Sie an diesem Freitag Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann besuchen, geht es auch um den Digitalpakt. Sie wirft Ihnen vor, gemessen an der Vereinbarung mit Ihrer Vorgängerin vertragsbrüchig zu sein: Damals galt, dass der Bund die technische Ausrüstung der Schulen finanziert. Sie dringen jetzt wegen der geplanten Änderung des Grundgesetzes auf eine Kofinanzierung.
Wichtig ist, dass es bei den fünf Milliarden Euro bleibt, die der Bund für den Digitalpakt versprochen hat. Die Kofinanzierung, die die Länder aufbringen, vergrößert das Budget.
Wie viel sollen die Länder dazulegen? Wären Sie mit zehn Prozent auch zufrieden?
Ich kann mit jedem Anteil leben, der zu einer zügigen Umsetzung beiträgt. Mir liegt vor allem daran, dass die Lehrerfortbildung gesichert ist und schnell beginnen kann.