Verspätet beschreibt die Kultusministerin die Situation zum Schulanfang. Das Abitur nach der Gemeinschaftsschule ist schon umstritten.  

Stuttgart - Eine bessere Unterrichtsversorgung, vor allem an Grundschulen und der Einstieg in die Gemeinschaftsschulen stehen für Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) ganz oben auf der Agenda. Etwas verspätet beschrieb sie am Montag die Situation zum Schuljahrsbeginn: Die Unterrichtsversorgung sei besser als im Vorjahr, der Pflichtunterricht sei gesichert, jedoch reiche die Krankheitsreserve nicht aus.

 

Warminski-Leitheußer strebt an, bis zum Jahr 2016 schrittweise 800 zusätzliche Lehrerstellen für Krankheitsvertretungen zu schaffen. Dann sei Baden-Württemberg auf dem bundesdeutschen Durchschnitt angekommen. Bei den Sonderschulen und den beruflichen Schulen räumte sie strukturelle Defizite in der Unterrichtsversorgung ein.

"Wir werden uns anstrengen, auch die Bedingungen an den beruflichen Schulen deutlich zu verbessern", sagte die Ministerin. Das genügt den Wirtschaftsverbänden nicht. Für die Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände fordert deren Präsident Dieter Hundt, das strukturelle Unterrichtsdefizit müsse zügig beseitigt werden. Er vermisst dafür einen konkreten Plan des Kultusministeriums.

Gemeinschaftsschulen heftig diskutiert

Die Arbeitgeber verlangen in den kommenden drei Jahren jeweils 400 zusätzliche Deputate für die beruflichen Schulen. Eine "stiefmütterliche Behandlung der Berufsschulen" gefährde das hohe Niveau der dualen Ausbildung. Diese sichere aber den Fachkräftebedarf. In die Forderung stimmt Joachim Möhrle, der Landeshandwerkspräsident, ein. Die Ankündigung der Ministerin, 160 Stellen zusätzlich zu schaffen, sei "meilenweit von den tatsächlichen Notwendigkeiten entfernt", klagt Möhrle. Er kritisiert auch, dass die grün-rote Landesregierung die geplante Kooperation der Werkrealschulen mit den Berufsfachschulen streichen wird.

Auch die Arbeitgeber halten nicht viel von den Reformvorschlägen der Regierung. Hundt verlangt eine klare Linie und mehr Tempo. Der Ausbau der Ganztagsschulen geht den Arbeitgebern zu langsam. Die Kultusministerin will vor allem an den Grundschulen die Ganztagsbetreuung voranbringen. Bis zum Jahr 2020 sollen alle Grundschulen Ganztagsschulen sein, ob freiwillig oder verpflichtend, will Warminski-Leitheußer offenlassen.

Heftige Diskussionen lösen die Pläne der Regierung zu den Gemeinschaftsschulen aus. Warminski-Leitheußer kündigte an, dass die ersten 30 Schulen im Herbst 2012 an den Start gehen sollen. Diese werden komfortabel ausgestattet. Für das erste Jahr werden 52 zusätzliche Lehrerdeputate bereitgestellt, in den Klassen sollen nicht mehr als 25 Schüler sitzen. "Wir wollen eine neue Lernkultur etablieren und werden deshalb sehr stark auf eine gute Qualität der Schulen achten", kündigte die Ministerin an. Der Landeselternbeirat warnt bereits, die finanzielle Ausstattung des Gemeinschaftsschulen dürfe nicht zu Lasten anderer Schularten gehen. Die Schulen werden in jedem Fall die Klassen fünf bis zehn umfassen.

Abiturienten zweiter Klasse

Irritationen verursachte die Ankündigung der Ministerin, dass der Weg zum Abitur über die Gemeinschaftsschule in jedem Fall neun Jahre dauern werde. Wenn die Schule groß genug ist, kann sie selbst nach der zehnten Klasse eine gymnasiale Aufbaustufe aufsetzen. Diese wird drei Jahre umfassen. Wenn Schüler die Gemeinschaftsschule nach Klasse zehn mit der mittleren Reife verlassen, sollen sie im neunjährigen Gymnasium in die elfte Klasse wechseln.

Im flächendeckenden achtjährigen Gymnasium dagegen müssten die Absolventen der Gemeinschaftsschule in die zehnte Klasse einsteigen und damit ein Jahr wiederholen. Offen ist auch noch unter welchen Bedingungen Schüler mit Realschulniveau überhaupt von der Gemeinschaftsschule an das allgemeinbildende Gymnasium wechseln können. Das Kultusministerium will einigen Schulen Modellversuche zu neunjährigen Gymnasien ermöglichen. Wie viele das sein werden, müsse politisch von den Fraktionen entschieden werden.

Die Arbeitgeber halten "Kosten treibende Experimente wie die Teilrückkehr zu G9" für ebenso überflüssig wie die Option für eine zusätzliche Oberstufe an den geplanten Gemeinschaftsschulen. Die Angebote an den beruflichen und allgemeinbildenden Gymnasien seien ausreichend, erklärte Dieter Hundt. "Zusätzliche Angebote bergen die Gefahr von Ressourcenvergeudung", erklärte der Arbeitgeberpräsident. Die oppositionelle CDU schließt aus der Ankündigung, die Kultusministerin schaffe Abiturienten zweiter Klasse. An der Gemeinschaftsschule, die die CDU stets "Einheitsschule" nennt, könne wohl das allgemein notwendige Leistungsniveau nicht erreicht werden, ätzt Georg Wacker, der bildungspolitische Sprecher der Landtagsfraktion. Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl argwöhnt, es zähle nicht die individuelle Förderung, sondern nur "grün-rote Bildungsideologie".