Wenn die Regierung wie angekündigt Lehrerstellen streicht, wird es nichts mit den Bildungsreformen, kritisiert die Lehrergewerkschaft.
Stuttgart - Die grün-rote Landesregierung hat ihre bildungspolitischen Reformen so wenig durchfinanziert wie vor ihr die CDU-/FDP-Koalition“, konstatiert Doro Moritz, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sollte die Regierung wie angekündigt im Doppelhaushalt 2013/14 mehrere Tausend Lehrerstellen streichen, kündigt die GEW erbitterten Widerstand an. Moritz hält es auch nicht für ausgeschlossen, zu Demonstrationen aufzurufen. Die GEW befürchtet, die Regierung wolle die geplanten Einsparungen einerseits und die versprochenen Reformen andererseits auf dem Rücken der Lehrer austragen. Aus den Fraktionen höre sie außer regionaler Schulentwicklung nur Diskussionen über die Streichung der Altersermäßigung der Lehrer oder zur Veränderung der Arbeitszeit. „Das ärgert mich maßlos“, sagt Moritz.
Eigene Studie
Im Auftrag der GEW hat der Bildungsforscher Klaus Klemm die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den Lehrerbedarf an den allgemeinbildenden Schulen im Südwesten untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass bis zum Ende der Legislaturperiode im Schuljahr 2015/16 nur rund 800 Stellen aufgrund des Schülerrückgangs zur Disposition stünden, wenn die Regierung auch nur einige ihrer Reformen umsetzen möchte. Dazu zählt Klemm die Einführung von 300 Gemeinschaftsschulen, gebundenen Ganztagsbetrieb an 15 Prozent der Grundschulen und an 20 Prozent der Realschulen und der Gymnasien, den Ausbau der Inklusion für 50 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, den Ausbau der individuellen Förderung an Grund- und an Realschulen, sowie die Ausdehnung der Krankheitsreserve der Lehrer auf den Bundesdurchschnitt von 2,5 Prozent.
„Von Reformen verabschieden“
Die grün-rote Koalition dagegen will in acht Jahren 11 600 Stellen streichen. Sollte das eintreten, gibt es für Moritz nur eine Konsequenz: „Dann muss die Landesregierung sagen, dass sie sich von ihren Reformvorhaben verabschiedet.“ Das würde die GEW bedauern. Sie erwartet vom Kultusministerium „einen sauberen Plan“, welche Reformen wann mit welchem Aufwand umgesetzt werden sollen. Auch die GEW könnte sich eine Priorisierung vorstellen. So könne man die Inklusion, den Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern, später verwirklichen und an weniger Realschulen und Gymnasien gebunden Ganztagsbetrieb einführen.
Für das SPD-geführte Kultusministerium erklärte die Amtschefin Margret Ruep, Einsparungen seien notwendig, um Schulden der alten Regierung abzubauen. Sie erklärte „wir werden in den Haushaltsberatungen priorisieren müssen“. So wolle das Ministerium in Verhandlungen mit den Kommunen den Ausbau des Ganztagsbetriebs vor allem an Grundschulen voranbringen. Auch solle die Möglichkeit überprüft werden, kleine Klassen und kleine Schulen zusammenzulegen und der Einsatz der Lehrer besser gesteuert werden.
Kritik „maßlos überzogen“
Die Regierungsfraktionen wiesen die Vorwürfe der GEW zurück. Die Grünen sehen die Reformen auf einem guten Weg. Man werde sie Schritt für Schritt umsetzen. Die SPD nannte die Kritik „maßlos überzogen“. Es führe nicht weiter, „nur kategorisch Nein zu sagen“. Die Gewerkschaft lasse eine verantwortungsvolle Einstellung vermissen. Die oppositionelle FDP dagegen findet, „die GEW legt den Finger mitten in die Wunde der grün-roten Bildungspolitik“. Man könne nicht massiv sparen, mehr investieren und dann noch „Lieblingsexperimente“ wie die Gemeinschaftsschule durchsetzen wollen.
Prognosen
Die Zahl der Schüler im Land ist in den vergangenen Jahren um 125 000 zurückgegangen. Das Kultusministerium erwartet bis zum Jahr 2020 ein weiteres Minus von 190 000 Schülern.
Klaus Klemm rechnet bis zum Ende der Legislaturperiode mit 6138 freiwerdenden Stellen an allgemeinbildenden Schulen. Für die Reformen wären 5312 Stellen notwendig. Für Ganztagsschulen kalkuliert er mit 1621, für Gemeinschaftsschulen mit 180 Stellen. Eine Stunde individuelle Förderung an Grundschulen und eine Viertelstunde pro Realschulklasse würde 824 Stellen bedeuten.