Die Stiftung Lesen hat ermittelt, dass 40 Prozent der Kinder in Deutschland abends nicht vorgelesen wird.

Das Vorlesen ist für manche Kinder ein festes abendliches Ritual. Rund 40 Prozent der Kinder in Deutschland zwischen einem und acht Jahren kommen innerhalb der Familie allerdings selten oder nie in den Genuss des Vorlesens. Das geht aus einer neuen Bildungsstudie der Stiftung Lesen hervor, für die 800 Eltern zu ihrem Vorleseverhalten befragt wurden.

 

Der neue Vorlesemonitor zeigt zwar, dass 29 Prozent der Kinder in diesem Alter einmal oder sogar mehrmals pro Tag von Müttern oder Vätern vorgelesen wird. Doch im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2019 hat das Vorlesen in den Familien generell abgenommen. Vor der Corona-Pandemie haben noch rund 68 Prozent der Eltern ihren Kindern regelmäßig vorgelesen, nur 32 Prozent taten dies vor drei Jahren selten oder gar nicht. Besonders gravierend dabei ist, dass laut der aktuellen Studie mittlerweile 20 Prozent der Eltern ihren Kindern nie vorlesen. Vor drei Jahren waren dies nur acht Prozent.

Weniger Kinderbücher im Haushalt

Wenn die Kinder in die Schule kommen, setzt ein auffälliger Negativtrend ein. Mittlerweile würde einer Mehrheit von 51 Prozent der Achtjährigen überhaupt nicht mehr vorgelesen. 2019 betraf dies etwa nur halb so viele Kinder.

„Kinder, die gerade erst das Lesen lernen, tun sich noch schwer mit dem Lesen komplexerer Texte. Deshalb fühlen sich viele Kinder frustriert, da sie auf ein Textniveau zurückgeworfen werden, über das sie eigentlich schon hinausgewachsen sind“, mahnt die Wissenschaftlerin Simone Ehmig, die bei der Stiftung Lesen für die Studie verantwortlich zeichnete. „Das kann zu einem Interessenverlust an Büchern führen, dem mit weiterem Vorlesen nach Schuleintritt entgegengewirkt werden kann.“

Ein weiterer Grund, warum Eltern weniger vorlesen, könne laut Studie eine geringe Verfügbarkeit an Vorlesestoff sein. Denn je mehr Kinderbücher im Haushalt vorhanden seien, desto regelmäßiger würden Eltern ihren Kindern vorlesen und damit frühe Impulse für das Lesen weitergeben. In 44 Prozent der befragten Familien gebe es zudem nur maximal zehn Kinderbücher.

Migrationshintergrund spielt keine Rolle

Weitere Gründe für mangelndes Vorlesen seien auch in den Bildungsvoraussetzungen der Eltern zu finden. Denn mehr als die Hälfte der Eltern mit formal geringer Bildung würden ihren Kindern selten oder gar nicht vorlesen. Diese Kinder seien damit häufig bereits vor dem Schuleintritt benachteiligt und in einer Abwärtsspirale gefangen. Denn Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, würden später auch mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit den eigenen Kindern vorlesen.

Ein Migrationshintergrund der Eltern soll hingegen nur eine untergeordnete Rolle im Vorleseverhalten spielen. Ausschlaggebend sei vielmehr die Bildung der Erziehenden. Darüber hinaus lesen Mütter ihren Kindern öfter vor als die Väter, so die Stiftung Lesen. Am häufigsten würde Kindern im Alter von zwei bis vier Jahren vorgelesen. „Vorlesen eröffnet Kindern die Welt der Geschichten und legt wie keine andere Aktivität den Grundstein für Bildung und Zukunftschancen. Deswegen muss die Bedeutung des Vorlesens in der Gesellschaft wachsen“, forderte am Montag Jörg Maas, der Geschäftsführer der Stiftung Lesen.

Bessere Vergleiche möglich

Kaum genutzt werden digitale Angebote wie beispielsweise Kinderbuch-, oder Vorlese-Apps. Zwar hat laut der Studie jedes dritte Kind solche Programme bereits verwendet, zwei Drittel würden solche Angebote allerdings gar nicht wahrnehmen. Smartphones und Tablets würden von Kindern meist zum „Musik hören“ (42 Prozent), „sich kreativ beschäftigen“ (30 Prozent) und um „Serien und kleine Filme schauen“ (29 Prozent) verwendet.

Der Vorlesemonitor ist ein Kooperationsprojekt der Stiftung Lesen, der Wochenzeitung „Die Zeit“ und der Deutsche Bahn Stiftung. Die Studie erscheint seit 2007 jährlich. Seit diesem Jahr soll das neue Studiendesign bessere Vergleiche ermöglichen. Die Studiendaten seien repräsentativ für die gesamte Bundesrepublik, so Studienleiterin Ehmig.