Bioabfall in Stuttgart Stuttgarter Biogasanlage ab 2027 in Betrieb? Hauptnutzer ist Porsche
Nach mehr als 15 Jahren der Verzögerungen und Umplanungen ist die Abfallwirtschaft Stuttgart optimistisch, dass der Bau der Biogasanlage 2026 beginnen kann.
Nach mehr als 15 Jahren der Verzögerungen und Umplanungen ist die Abfallwirtschaft Stuttgart optimistisch, dass der Bau der Biogasanlage 2026 beginnen kann.
Seit mehr als 15 Jahren plant die Stadt Stuttgart an ihrer eigenen Bioabfall-Vergärungsanlage. Doch Standortdebatten, Planungsänderungen, Gutachten, Gerichtsprozesse, Eidechsenpopulation und natürlich auch die Pandemie sorgten immer wieder für Verzögerungen bei dem Vorhaben, das im Gewann Hummelsbrunnen-Süd im Stuttgarter Norden beheimatet sein soll. Zuletzt machte 2024 eine fehlende Nachtragsgenehmigung den Verantwortlichen der Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) einen Strich durch die Rechnung – wieder einmal fiel der Baubeginn für das rund 32 Millionen Euro teure Projekt ins Wasser.
„Der Antrag auf Änderungsgenehmigung bedeutete einen erheblich größeren Aufwand, als zunächst vermutet“, sagte der AWS-Chef Markus Töpfer vor einem Jahr gegenüber unserer Redaktion. Als Beispiel nannte er die Mindestabstände zur angrenzenden Bundesstraße. Um die einhalten zu können, mussten die Pläne geändert werden. Die Folgen: „Neue Gutachten zu Lärm, Geruch und Schornsteinhöhe waren nötig“, so Töpfer. Zudem sei ein Sachverständiger mit der geplanten Ausführung eines Teilbereichs nicht einverstanden gewesen, was eine weitere Umplanung zur Folge hatte.
Die Liste der Verzögerungen ist mittlerweile lang: zahlreiche Untersuchungen (Kampfmittel), Gutachten (Lärm, Geruch, Naturschutz) oder Genehmigungsverfahren. Neben einer Änderung des Flächennutzungsplans (2012 bis 2016) war auch die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans (2014 bis 2018) zeitraubend. Ein weiteres Hindernis waren die auf dem Gelände beheimateten Zauneidechsen. Die bedrohte Tierart, für die Ersatzhabitate geschaffen werden mussten, zwang die Planer mehrfach zu umfangreichen Änderungen.
Zudem wurde die Fläche für das Projekt aus Rücksicht auf die Natur von 4,3 auf 2,1 Hektar mehr als halbiert, was ebenfalls viel Zeit gekostet hat. Ein Jahr Verzögerung gab es auch 2020/21: Damals musste das Oberlandesgericht Karlsruhe über einen Einspruch zum Vergabeverfahren entscheiden. Eine unterlegene Firma aus Österreich hatte gegen das Ergebnis geklagt, war damit aber gescheitert. Zuletzt sorgte auch die Pandemie mit massiven Auswirkungen auf die Ausschreibeverfahren für eine zweijährige Verzögerung.
Dennoch bleibt Markus Töpfer optimistisch, noch in diesem Jahr die Änderungsgenehmigung in den Händen zu halten. „Sobald dies der Fall ist, geht’s los“, so der AWS-Chef. Bei einer Bauzeit von rund eineinhalb Jahren wäre dann der Start der Anlage im Jahr 2027 möglich, da viele Vorarbeiten wie etwa die Kampfmittelsondierung, Baugrunduntersuchungen und Erschließung des Geländes bereits erledigt seien.
Zudem ist bisher noch keine der am Bau beteiligten Firmen abgesprungen. Auch nicht die Firma Porsche. Denn der überwiegende Teil des Gases, das einmal in der neuen Anlage gewonnen wird, soll von dem Autoproduzenten abgenommen werden. Dafür muss allerdings noch eine von den Stadtwerken finanzierte und betriebene unterirdische Leitung zur Sportwagenschmiede in Zuffenhausen gebaut werden. Die entsprechenden Verträge wurden bereits 2020 unterzeichnet.
„An den Gesamtkosten des Projekts in Höhe von rund 32 Millionen Euro hat sich ebenfalls nichts geändert“, betont Töpfer. Allein mit 22 Millionen Euro schlägt die Anlage zu Buche, die für eine Verarbeitungskapazität von 350 000 Tonnen pro Jahr ausgelegt ist. Was neu bei der Thematik ist: Der Gemeinderat hat in diesem Jahr einem Vertrag über einen Ausfallverbund zur Entsorgung von Bioabfällen zugestimmt. Stuttgarts Partner in dem Verbund, der eine Entsorgungssicherheit bei Ausfall einer Anlage garantiert, sind die AWG Abfallwirtschaft Landkreis Calw GmbH, die Abfallwirtschaft Rems-Murr AöR, die Bioenergie Freudenstadt GmbH, die Kompostwerk Kirchheim/Teck GmbH sowie die Bioabfallverwertung GmbH Leonberg (BVL).
Letztgenannte ist eine Kooperation der Landkreise Böblingen und Esslingen, die im Juni 2019 gegründet wurde. Doch die zukunftsweisende Kooperation stand im gleichen Jahr vor einer großen Bewährungsprobe. Beim Brand der Vergärungsanlage Leonberg am 11. September 2019 wurde ein Großteil der Prozesstechnik und der Gebäude nahezu vollständig zerstört. Doch mit dem zügig angegangenen Wiederaufbau der Vergärungsanlage, der in diesem Jahr abgeschlossen wurde und beispielhaft für Stuttgart sein sollte, wurde gleichzeitig die Erweiterung der Verarbeitungskapazität um 20 000 Tonnen realisiert.
„Der Anfang war etwas holprig, da die Beseitigung der Brandschäden doch umfangreich war“, sagt Wolfgang Bagin, Geschäftsführer der BVL. Doch da der Standort für solch eine Anlage in Nachbarschaft zur Autobahn niemanden störe, konnte die Genehmigung für einen Neubau zügig erteilt werden. „Mit etwas Verspätung ist der Probebetrieb im September gestartet“, sagt der BVL-Geschäftsführer. Sofern es in den kommenden Monaten keine Probleme gebe, soll Anfang 2026 der Dauerbetrieb losgehen. Dann will die BVL einmal rund 60 000 Tonnen Bioabfall und etwa 12 000 Tonnen Grünabfall pro Jahr verarbeiten. Was erfreulich ist: „Die prognostizierten Gesamtprojektkosten von rund 52,9 Millionen Euro wurden nicht überschritten“, so Bagin.
Braune Tonne
Die Braune Tonne gibt es seit gut 30 Jahren – auf freiwilliger Basis. Gerade einmal 37 Prozent der Haushalte hatten 2014 eine Biotonne. Doch durch die Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes wurde daraus 2015 eine Pflicht. Die flächendeckende Einführung dauerte drei Jahre.
Standort
Der Wunsch nach einer eigenen Bioabfallvergärungsanlage entstand bereits 2009. 18 Gelände wurden von 2010 bis 2012 unter die Lupe genommen, übrig blieb zunächst die Sauhalde in Zuffenhausen. Nach Protesten seitens des Bezirksbeirats und der Bürgerschaft einigte man sich schließlich auf den Standort Hummelsbrunnen-Süd.
Anlage Die Anlage besteht neben einer Halle (etwa 80 auf 50 Meter groß) mit Annahmebereich, Behandlungstechnik und Rottetunnel, einem Fermenter (rund 35 auf 10 Meter) aus drei Presswasserspeichern (Durchmesser bis zu 27 Meter, Höhe 11,5 Meter) und einem Betriebsgebäude (15 Meter auf 15 Meter). Die Zu- und Abfahrt erfolgt von der B 27a über eine neue Straße. Die Belästigung durch An- und Abfahrten ist mit etwa 16 Lkw-Fahrten täglich laut der AWS moderat.