Karsten Borgwardt von der Uni Tübingen analysiert große Mengen genetischer Daten, um Zusammenhänge mit Krankheiten aufzudecken. Er vergleicht es mit der Expedition in ein unbekanntes Land. Für seine Arbeit hat er den Alfried-Krupp-Förderpreis erhalten.

Tübingen - Karsten Borgwardt hat eine Turbokarriere hingelegt. Mit 33 Jahren ist der Bioinformatiker Professor in Tübingen, hat in Cambridge, Harvard und Oxford geforscht und einen der höchstdotierten Wissenschaftspreise in Deutschland bekommen. Die Hoffnungen, die die Fachwelt in ihn setzt, sind groß: Als die Jury ihm Ende Dezember den mit einer Million Euro dotierten Alfried-Krupp-Förderpreis verlieh, betonte sie, dass Borgwardt einen Teil dazu beitrage, „das Gesundheitswesen des 21. Jahrhunderts zu revolutionieren“. Dabei macht er nichts anderes, als mit seinem Team am Computer riesige Datenmengen zu analysieren. Am Tübinger Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme begegnet man einem sympathisch wirkenden Menschen, der einen völlig geerdeten Eindruck macht. „Ich war mit dem richtigen Thema zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Borgwardt ganz uneitel.

 

Sein Thema ist das Data-Mining in den Lebenswissenschaften, also das Schürfen in großen Datenmengen aus Zehntausenden von Genen und Proteinen, die wiederum aus vielen Basen und Aminosäuren aufgebaut sind. Mit komplexen mathematischen Verfahren versucht er, große Mengen von Daten zur Biochemie von gesunden und kranken Patienten zu vergleichen, um so tiefere Einblicke in psychische und neurologische Krankheiten zu bekommen.

Borgwardt vergleicht dieses Unterfangen mit der Erkundung einer „Terra incognita“, eines unbekannten Landes. Ähnlich müsse es vor 500 Jahren den Entdeckern Amerikas gegangen sein, als sie am Anfang die Landkarte nur schemenhaft skizzieren konnten. „Wir kennen die Position vieler Gene, oft auch ihre biochemische Funktion“, erklärt Borgwardt. „Wie all diese Moleküle zusammenwirken, um komplexe biologische Mechanismen zu steuern, zum Beispiel das Entstehen einer Krankheit, ist jedoch weitgehend unklar.“

Das Ziel ist die personalisierte Medizin

Vor allem bei psychischen und neurologischen Krankheiten gebe es noch viele offene Fragen, weil das komplexe Zusammenwirken vieler Gene und Proteine eine Rolle spielt. Warum tritt eine Krankheit auf? Warum sprechen manche Patienten auf ein bestimmtes Medikament an, andere aber nicht? Borgwardt und seine Forschergruppe erhoffen sich, hier mit Data-Mining-Analysen Einblicke zu finden – auf dem Weg zur sogenannten personalisierten Medizin. Noch im 21. Jahrhundert, so die Hoffnung, wird es Medikamente geben, die speziell auf das Erbgut eines Patienten zugeschnitten sind. Auch individuelle Krankheitsrisiken könnten dann schneller entdeckt werden und Vorsorgeuntersuchungen früher greifen, so die Vision.

In Borgwardts Arbeitsgruppe wird nach mathematischen Algorithmen gesucht – nach den besten und effizientesten Rechenschritten, mit denen man diese ungeheuerliche Menge von Daten mit dem Computer durchdringen kann. „Unsere Algorithmen können nicht Krankheiten direkt behandeln, aber wir können berechnen, ob bestimmte Teile des Erbguts mit einem höheren Krankheitsrisiko statistisch zusammenhängen, und neue interessante Hypothesen liefern“, erklärt Borgwardt. „Hier können dann Mediziner und Biologen weiterforschen.“

Borgwardt ist es etwa gelungen, durch neue Algorithmen umfassende Netzwerkstrukturen in wenige Zahlen umzuwandeln. „Komplexe Informationen über Proteine werden oft in sogenannten Graphen dargestellt, wie eine Art verzweigte U-Bahn-Karte mit Knoten und Linien. Da wir die Informationen eines solchen komplexen Graphen in wenigen Zahlen darstellen können, ist es leichter, Proteine miteinander zu vergleichen.“ Doch Karsten Borgwardt will nicht nur seine eigene Forschung voranbringen: Stolz ist er, dass aus seiner Arbeitsgruppe schon Professoren hervorgegangen sind, die in Japan, China und Dänemark lehren. Eine Doktorandin hat eine der international begehrtesten Auszeichnungen im Bereich maschinelles Lernen gewonnen.

Das Preisgeld der Alfried-Krupp-Stiftung will er nun für weitere Doktorandenstellen einsetzen. Mit Anfang 30 kümmert sich Borgwardt bereits um die „nächste Forschergeneration“. Auch für ihn selbst steht bald der nächste Schritt an. Am 1. Juni wechselt er als Professor für Data-Mining an die Technische Hochschule Zürich.